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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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bedrohliche Entschlossenheit und fragte sich, wie man einem älteren Bruder erklärt, dass ein Elfjähriger nicht mehr nur ein Elfjähriger ist, sondern ein Mensch, der sich um einiges von der übrigen Menschheit unterscheidet, um deren Überleben er kämpft ... Es war natürlich unmöglich.
    Er sagte: »Es sind diese ...« Nachdem er sich vorsichtig umgesehen hatte, zog er Jacke und Pullover hoch und zeigte Paul die Zeichen. »Das sind Antiquitäten. Schnallen, die Mr. Dawson mir zum Geburtstag geschenkt hat, aber sie müssen wirklich wertvoll sein, denn ein paar komische Leute tauchen immer wieder auf und versuchen sie mir wegzunehmen. Ein Mann hat mich einmal auf der Huntercombe Lane verfolgt... und dieser alte Landstreicher hatte auch etwas damit zu tun. Darum wollte ich ihn auch nicht mit nach Hause nehmen, als wir ihn im Schnee fanden.«
    Er fand selber, dass dies alles sehr unwahrscheinlich klang.
    »Hm«, sagte Paul. »Und dieser Kerl im Schloss? Der neue Butler? Lyon, nicht wahr? Hat der auch etwas damit zu tun?«
    »O nein«, sagte Will hastig. »Das ist ein Freund von mir.«
    Paul sah ihn einen Augenblick ausdruckslos an. Will musste daran denken, wie geduldig und verständnisvoll er in jener Nacht in der Mansarde gewesen war und wie er die alte Flöte spielen konnte. Er wusste, wenn er einem seiner Brüder etwas anvertrauen konnte, so war es Paul. Aber es kam natürlich nicht in Frage.
    Paul sagte: »Natürlich hast du mir nicht die Hälfte erzählt, aber dabei muss es dann wohl bleiben. Soviel ich verstehe, glaubst du, diese Antiquitätenjäger hätten sich Mary als eine Art Geisel geschnappt?«
    Sie waren am Ende der Auffahrt zur Straße angekommen. Der Regen goss auf sie herab, er war heftig, aber nicht feindselig; er lief an den Schneeböschungen herunter, strömte von den Bäumen, verwandelte die Straße in einen Sturzbach. Sie schauten vergebens nach rechts und nach links und geradeaus.
    Will sagte: »Es muss so sein, ich meine, sie wäre sonst doch geradewegs zum Schloss gegangen und wir hätten sie unbedingt auf dem Heimweg treffen müssen.«
    »Wir wollen auf jeden Fall noch einmal in die Richtung gehen und nachsehen.« Paul legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Himmel auf. »Dieser Regen! Es ist lächerlich! So plötzlich in all diesen Schnee hinein — und es ist so viel wärmer. Das gibt doch keinen Sinn.« Er platschte durch den strömenden Bach, der einmal die Huntercombe Lane gewesen war. Mit einem halb ärgerlichen, halb spöttischen Grinsen sagte er: »Aber da ist noch manches, was für mich im Augenblick keinen Sinn ergibt.«
    »Ah«, sagte Will. »Hm. Nein.« Er platschte laut herum, um sein schlechtes Gewissen zu verbergen, und spähte durch die Regenvorhänge nach seiner Schwester aus.
    Der Lärm, der sie umgab, war erstaunlich: Es war ein Meeresgeräusch; sprühende Gischt, rollende Kiesel und brechende Wellen, hervorgerufen vom Wind, der den Regen in rhythmischen Stößen durch die Bäume jagte. Sie gingen die Straße entlang, hielten Ausschau und riefen immer wieder Marys Namen. Sie hatten Angst; alles, was sie sahen, war fremd geworden. Der Regen hatte den Schnee zerfurcht, neue Pfade und Hügel gebildet. Aber als sie an eine Wegbiegung kamen, wusste Will plötzlich, wo er war.
    Er sah, wie Paul sich duckte und schützend den Arm hob, hörte ein plötzliches raues Krächzen, das gleich wieder verstummte, sah sogar durch den strömenden Regen hindurch ein Geflatter schwarzer Federn, als der Krähenschwarm dicht über ihre Köpfe wegschoss.
    Paul richtete sich langsam auf, sah sich um: »Was in aller Welt —?«
    »Geh auf die andere Straßenseite«, sagte Will und schob ihn entschlossen hinüber. »Die Krähen werden manchmal verrückt. Ich hab es schon mal erlebt.«
    Ein zweiter kreischender Vogelschwarm griff Paul jetzt von hinten an, trieb ihn vorwärts, während der erste Schwarm Will gegen die Schneeböschung am Rande des Wäldchens schob. Immer wieder kamen sie heruntergeschossen. Will fragte sich, ob sein Bruder wohl gemerkt hatte, dass sie wie Schafe getrieben wurden, dorthin, wo die Krähen sie haben wollten. Aber noch während er überlegte, wusste er, dass es zu spät war. Die grauen Regenschleier hatten sie endgültig getrennt; er hatte keine Ahnung, wohin Paul gegangen war.
    Voller Entsetzen schrie er: »Paul? Paul!«
    Aber dann übernahm der Uralte in ihm die Herrschaft, die Furcht legte sich, er hörte auf zu rufen. Dies war nichts für gewöhnliche Menschen,

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