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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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in das spröde, lange Haar der Mähne. Sofort spürte er wieder, wie sein Kopf sich drehte. Klar und weit weg hörte er die verzauberte Glockenmusik, dann drehte sich die Welt mit einem gewaltigen Ruck, die Musik verklang, er saß auf dem Rücken der weißen Stute, hoch oben zwischen den Weiden.
    Blitze zuckten jetzt überall am grollenden Himmel. Die Muskeln in dem riesigen Rücken unter ihm spannten sich. Will klammerte sich fest in die weiße Mähne, während das Pferd über die Heide galoppierte. Es sprang über Schneewehen, durch Schneelöcher, die Hufe streiften nur die Oberfläche und warfen den nassen Schnee wie eisige Gischt hinter sich. An den gebogenen Nacken des Pferdes geschmiegt, glaubte Will, im Windgebraus ein helles Kläffen zu hören, wie der Schrei ziehender Wildgänse. Der Laut schien sich um sie zu sammeln, dann vor ihnen zu liegen und in der Ferne zu verschwinden.
    Das weiße Pferd machte hohe Sprünge; Will klammerte sich noch fester. Es ging über Hecken, Straßen, Steinwälle, die aus dem schmelzenden Schnee auftauchten. Dann füllte ein neues Geräusch, das stärker war als Wind und Donner, seine Ohren; vor sich sah er etwas glitzern wie gekräuseltes Glas und er wusste, dass sie die Themse erreicht hatten.
    Der Fluss war viel breiter, als er ihn je gesehen hatte. Länger als eine Woche war er von eisigen Wänden überhängenden Schnees eingeengt gewesen; jetzt hatte er sich befreit, schäumte und brüllte. Große Schneebrocken und Eisschollen tanzten wie Eisberge auf der Flut. Dies war kein Fluss, es war die Wut des Was sers. Es zischte und heulte ungebändigt. Will fürchtete sich, wie er sich nie vor der Themse gefürchtet hatte; sie war so wild, wie die Dinge der Finsternis sein können, unverständlich und unbezähmbar.
    Aber er wusste, dass der Fluss nicht zum Reich der Finsternis gehörte, dass er außerhalb von Licht oder Finsternis war, eines der Uralten Dinge aus dem Anfang der Zeit. Die Alten Dinge: Feuer, Wasser, Stein, Holz ... und dann, nachdem der Mensch gekommen war, Bronze und Eisen ...
    Der Fluss war losgelassen und würde seinem eigenen Willen folgen. Der
Fluss wird zum Tal kommen ...
hatte George gesagt.
    Die Stute blieb unentschlossen am Rand des wilden, kalten Wassers stehen, dann sammelte sie ihre Kraft und sprang. Erst als sie sich über den strudelnden Fluss erhoben, sah Will die Insel. Eine Insel in dieser Sturzflut, wo vorher keine gewesen war. Als das weiße Pferd zwischen dunklen, kahlen Bäumen landete, dachte er: Es ist in Wirklichkeit ein Hügel, der vom Wasser umspült wird.
    Und plötzlich wusste er, dass er hier einer großen Gefahr begegnen würde. Dies war der Ort seiner Prüfung, diese Insel, die keine Insel war. Wieder einmal blickte er zum Himmel auf und rief in Gedanken verzweifelt nach Merriman; aber Merriman kam nicht, kein Wort oder Zeichen kam von ihm.
    Das Gewitter war noch nicht vorüber, aber der Wind hatte ein wenig nachgelassen; doch das Rauschen des Flusses war lauter als alles andere. Die weiße Stute beugte ihren langen Hals und Will kletterte steifbeinig herunter.
    Im hohen Schnee, der manchmal eisenhart war und manchmal weich genug, um ihn bis zur Hüfte einsinken zu lassen, machte er sich auf, diese seltsame Insel zu erkunden. Er hatte gedacht, sie wäre kreisrund, aber sie hatte eher die Form eines Eies. Der höchste Punkt lag an einem Ende und dort stand die weiße Stute. Um den unteren Rand der Insel wuchsen Bäume, darüber lag ein offe ner, beschneiter Abhang, der oben von Buschwerk gekrönt war, aus dem eine einzelne, knorrige uralte Buche herausragte. Dem Schnee am Fuße dieses großen Baumes entsprangen zu seiner großen Überraschung vier Quellen, die über den Hügel so hinunterliefen, dass sie ihn in vier Teile teilten.
    Das weiße Pferd stand bewegungslos. Donner grollte aus dem zuckenden Himmel. Will stieg zu der alten Buche hinauf und betrachtete die eine Quelle, die unter einer riesigen verschneiten Wurzel hervorsprudelte. Ein Singen hob an.
    Es war wortlos; es kam mit dem Wind; ein dünnes, hohes, kaltes Klagen ohne erkennbare Melodie. Es kam von weither und es war quälend, es anzuhören. Aber es hielt ihn gebannt, lenkte seine Gedanken von ihrem Lauf. Will hatte das Gefühl, Wurzeln zu schlagen wie der Baum über ihm.
    Während er dem Singen lauschte, sah er an einem der unteren Äste der Buche einen Zweig, dessen Anblick ihn so gefangen nahm, als enthielte er die ganze Welt. Sein Blick fuhr ganz langsam an dem

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