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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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winzigen Zweig auf und ab, während der hohe, seltsame Singsang aus der Ferne zu ihm herüberklang. Ganz plötzlich hörte er auf, Will stand verdutzt da und stellte fest, dass seine Nase einen ganz gewöhnlichen Buchenzweig beinahe berührte. Er wusste jetzt, dass die Mächte der Finsternis sogar einen Uralten für eine Weile aus der Zeit herausholen konnten, wenn sie Raum für ihren Zauber brauchten.
    Denn vor ihm stand neben der großen Buche Hawkin.
    Er war jetzt eher als Hawkin zu erkennen, obwohl er dem Alter nach noch der Wanderer war. Will hatte das Gefühl, zwei Männer in einem zu sehen. Hawkin trug wieder seinen grünen Samtrock; er schien neu, mit ein wenig weißer Spitze am Hals. Aber die Gestalt in dem Rock war nicht mehr schlank und beweglich, sie war vom Alter gebeugt und geschrumpft. Und das Gesicht unter dem langen, flatternden weißen Haar war gefurcht und verwittert. Die Jahre, die auf Hawkin eingeschlagen hatten, hatten nur die scharfen, hellen Augen nicht verändert. Diese Augen blickten Will jetzt mit kalter Feindseligkeit an.
    »Deine Schwester ist hier«, sagte Hawkin.
    Will schaute sich schnell auf der Insel um. Aber sie war leer wie zuvor.
    Er sagte kalt: »Sie ist nicht hier. Mit einem so dummen Trick wirst du mich nicht fangen.«
    Die Augen verengten sich. »Du bist hochmütig«, zischte Hawkin, »du siehst nicht alles, was es in der Welt zu sehen gibt, du Uralter mit der Gabe, und auch deine Meister sehen es nicht. Deine Schwester Mary ist hier an diesem Ort, obgleich du sie nicht sehen kannst. Mein Herr, der Reiter, macht dir nur ein einziges Angebot: deine Schwester für die Zeichen. Du hast kaum eine Wahl. Ihr Leute seid ja schnell bei der Hand, wenn es gilt, das Leben anderer aufs Spiel zu setzen«, der bittere alte Mund verzog sich höhnisch, »aber ich glaube nicht, dass Will Stanton seine Schwester gern sterben sehen wird.«
    Will sagte: »Ich kann sie nicht sehen. Ich glaube immer noch nicht, dass sie hier ist.«
    Hawkin starrte ihn an und sagte dann in die leere Luft hinein: »Meister?« Sofort begann das hohe, wortlose Singen wieder, Will versank wieder in diesen trägen Zustand, der warm und entspannend wie Sommersonnenschein war, gleichzeitig aber schrecklich in der weichen Art, wie er die Gedanken gefangen hielt. Während Will dem Singen zuhörte, vergaß er, dass er für die Herrschaft des Lichtes kämpfte; diesmal versenkte er sich in das Muster, das die Schatten und Höhlungen im Schnee zu seinen Füßen bildeten. Er starrte hier auf eine weiße Eisspitze, dort auf eine dunkle Höhlung unter dem schmelzenden Schnee; das Singen klang in seinen Ohren wie der Wind, der durch die Ritzen eines zerfallenen Hauses pfeift.
    Dann hörte das Singen auf und Will fuhr hoch, als habe eine plötzliche Kälte ihn getroffen. Er sah, dass er nicht mehr auf die Schatten im Schnee starrte, sondern auf die Linien und Rundungen im Gesicht seiner Schwester Mary. In den Kleidern, in denen er sie zuletzt gesehen hatte, lag sie im Schnee, lebendig und unversehrt, und starrte ihn mit einem leeren Blick an, ohne ein Zeichen, dass sie ihn erkannte oder wusste, wo sie sich befand. Auch ich, dachte Will unglücklich, weiß eigentlich nicht, wo sie ist. Denn obgleich man ihn ihre Erscheinung sehen ließ, war es doch unwahrscheinlich, dass sie wirklich da im Schnee lag. Er trat auf sie zu und wollte sie berühren, aber wie er es erwartet hatte, verschwand sie, nur die Schatten im Schnee waren noch da.
    »Du siehst«, sagte Hawkin, der bewegungslos neben der Buche stand, »es gibt Dinge, die die Finsternis vermag. Viele Dinge, über die du und deine Meister keine Macht haben.«
    »Das sehe ich«, sagte Will, »sonst gäbe es ja auch so etwas wie die Finsternis überhaupt nicht. Wir könnten ihr einfach sagen: verschwinde.«
    Hawkin lächelte ungerührt. Er sagte leise: »Aber sie wird nie verschwinden. Wenn sie sich erst einmal erhoben hat, wird sie jeden Widerstand brechen. Und die Finsternis wird sich immer erheben, mein junger Freund, und immer siegen. Wie du gesehen hast, haben wir deine Schwester Gib mir also jetzt die Zeichen.«
    »Sie Ihnen geben?« Will sagte es voller Verachtung. »Einem Wurm, der zur anderen Seite gekrochen ist? Niemals!«
    Er sah, wie die Fäuste sich über den Aufschlägen der grünen Samtjacke ballten. Aber dies war ein alter, alter Hawkin, der sich nicht herausfordern ließ; er hatte sich in der Gewalt, seit er nicht mehr der umherschweifende Wanderer war, sondern ein

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