Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
— es ist einfach aufgetaucht.«
»Du hast einen Wunsch getan«, sagte Will.
Sie starrte ihn an.
»Sollen wir es nicht aufmachen?«, sagte Barney voller Ungeduld. »Los, Gumerry!«
»Also gut«, sagte Merriman. Er nahm den kleinen Bleibehälter aus Janes Hand und legte ihn auf den Tisch. »Also gut.«
Jane stand immer noch mit aufgerissenen Augen da. Ihr Blick glitt zwischen Will und ihrem Großonkel hin und her. »Ihr wusstet, dass ich es hatte. Ihr wusstet es.«
»Wir hofften es«, sagte Merriman freundlich.
Simon legte einen Finger auf den Behälter, als spräche er ein Gebet. »Es hat so lange in der See gelegen. Seht her, es ist ganz mit Algen und solchem Zeug bedeckt... ob das Wasser nicht hineingedrungen ist? Dann wäre ich daran schuld. Ich habe es im vergangenen Sommer einmal aufgemacht, um zu sehen, was drin war, dann habe ich es wieder zugemacht. Wenn ich es nun nicht fest genug zugemacht habe und das Manuskript drinnen verdorben ist?...«
»Hör auf«, sagte Jane.
Merriman nahm den Behälter mit seinen langen, knochigen Fingern und zog und drehte vorsichtig an dem grünfleckigen grauen Metall, bis plötzlich das eine Ende sich wie eine Kappe löste. Aus dem längeren Teil der Röhre ragte eine dünne Rolle eines dicken Pergaments heraus wie ein Zeigefinger.
»Es ist noch in Ordnung«, sagte Simon mit belegter Stimme. Hastig räusperte er sich und nahm die Schultern zurück, aber es war schwer, im Schlafanzug eine würdige Figur zu machen.
Barney umfasste mit den Händen seine Oberarme, als wolle er sich selbst umarmen, und zappelte vor Ungeduld. »Was steht drin? Was steht drin?«
Ganz langsam und mit äußerster Vorsicht zog Merriman das zusammengerollte Manuskript aus der kleinen Bleiröhre. Während er es sorgfältig auf dem Tisch entrollte und mit seiner großen Hand flach drückte, sagte er: »Wir können das höchstens zweimal machen, wenn es nicht zu Staub zerfallen soll. Dies ist also das erste Mal.«
Seine langen Finger hielten das knisternde braune Pergament flach auf dem weißen Tischtuch. Es war mit dicken schwarzen Zeichen in zwei Blöcken bedeckt. Die Kinder starrten mit entsetzten, enttäuschten Gesichtern darauf.
»Das bedeutet doch gar nichts! Das ist nicht einmal eine Sprache!«
»Das ist barer Unsinn!«
Jane sagte vorsichtiger: »Was ist das für eine Schrift, Gumerry? Gibt es ein solches Alphabet?« Sie betrachtete ohne Hoffnung die Reihe schwarzer Flecken: aufrecht stehende Striche, schräge, einzeln und in Gruppen wie die Kritzeleien eines pedantischen Irren.
»Ja«, sagte Merriman, »das gibt es.« Er hob die Hand, sodass das Manuskript sich wieder aufrollte, und Will, der ihm über die Schulter geschaut hatte, ging still zu seinem Platz zurück. »Es gibt ein uraltes Alphabet, das Ogham heißt; es ist nicht zum Schreiben bestimmt wie unseres — und dies ist etwas Ähnliches. Aber es ist nur halb eine Schrift — es ist der Schlüssel zu einer Geheimschrift. Denk daran, es ist nur zu deuten, wenn wir den Gral haben — es gehört zu der Inschrift auf dem Gral, macht diese Inschrift verständlich. Das eine erläutert das andere.«
Barney jammerte: »Aber wir haben den Gral nicht.«
»Die Mächte der Finsternis«, sagte Simon verbittert, »der Maler.«
Dann richtete er sich auf, wilde Hoffnung im Gesicht. »Aber wir können ihn uns holen, wir können ihn uns aus dem Wohnwagen holen. Sie haben ihn — «
»Guten Morgen! Guten Morgen!« Mrs Penhallow kam eilig mit ihrem Tablett herein. »Ich habe eure Stimmen gehört, meine Lieben. Hier ist euer Frühstück.«
»Prima!«, sagte Barney sofort.
Ganz vorsichtig ließ Merriman seine Zeitung über das Manuskript und die Bleiröhre sinken.
»Na«, sagte Jane und zupfte an ihrem zerknautschten Bademantel herum. »Eigentlich sind wir ja noch gar nicht angezogen, aber trotzdem vielen Dank.«
»Du meine Güte, in den Ferien macht das doch nichts. Also, bedient euch und lasst euch Zeit, ich räume inzwischen eure Zimmer auf.« Sie stellte das Tablett ab, schlurfte zurück in ihre Küche und tauchte gleich darauf wieder mit Besen und Staubtüchern auf. Als sie sie in sicherer Entfernung hinter der Verbindungstür die knarrende Treppe hinaufeilen hörten, atmete Simon auf und legte aufgeregt los:
»Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht. Wir können also in den Wohnwagen, er ist nicht da. Er — «
Will gab ein warnendes Zischen von sich und hob die Hand. Hinter der zweiten Tür hörte man Murmeln und stolpernde Schritte
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