Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
die
Greenwitch.
»Und sie erzählten ihr von dem alten Glauben, dass derjenige, der die
Greenwitch
berührt, bevor sie zur Klippe gebracht wird, und einen Wunsch ausspricht, diesen Wunsch erfüllt bekommt. Sie hätte sich also alles wünschen können, was sie wollte.« Zum ersten Mal klang die Stimme warm. »Sie hätte sich alles Mögliche wünschen können, ihr Uralten, sie hätte sogar wünschen können, dass der verloren gegangene Teil eures machtvollen Gegenstandes zu euch zurückkäme. Aber als sie mich berührte, sah sie mich an, als wäre ich ein Mensch, und sagte: ›Ich wünsche, dass du glücklich sein könntest.‹«
Das leise Donnergrollen verstummte; der Hafen schwieg. Erinnerungen schienen ihn bis zum Bersten zu füllen.
»Ich wünsche, du könntest glücklich sein«, sagte die
Greenwitch
leise.
»Sie also — «, begann Will, unterbrach sich aber, als er Merrimans Hand auf seinem Arm spürte. Die Luft, die sie umgab, wurde hell, leicht, mild; in dieser einen Nacht war Trewissick wie ein Brennglas, in dem sich die Stimme der
Greenwitch
sammelte. Die hallende Stimme murmelte leise vor sich hin, und es kam Will so vor, als würden Erde und Meer an diesem Ort immer sanfter.
In die dämmrige Frühlingsnacht hinein sagte eine kalte Stimme: »Auch das Mädchen verfolgt wie alle andern seine eigenen Ziele.«
Schweigen herrschte. Dann trat aus dem Schatten der Kaimauer der Maler, der Mann der Finsternis. Er stand im gelben Lichtkreis der Laterne, eine klobige schwarze Silhouette, und sah sie an.
»Selbstsüchtig«, sagte er in die Luft hinein, »selbstsüchtig.«
Dann wandte er sich an Merriman. »Ich bin der Meister hier, nicht du. Meine Zaubersprüche haben sie aus dem Meer herausgelockt. Ich habe diesem Geschöpf zu befehlen, Uralter, nicht du.«
Will spürte ein leises Grollen und sah, wie die Lichter erzitterten.
Merriman sagte: »Hier können Befehle nichts mehr ausrichten, sondern nur Güte. Die Zauberworte, die sie aus der See herausgebracht haben, haben keine weitere Gewalt.«
Der Maler lachte verächtlich. Mit ausgestreckten Armen beschrieb er einen halben Kreis.
»Greenwitch«,
schrie er. »Ich bin gekommen, um das Geheimnis zu holen. Ich gebe dir noch diese Möglichkeit, es mir zu geben, bevor der Zorn der Mächte der Finsternis auf dich herabkommt!«
Das Grollen stieg zu einem lauten Krachen an, ähnlich einem Donnerschlag, dann verebbte es wieder.
»Sei vorsichtig«, sagte Kapitän Toms leise, »sei vorsichtig!«
Aber die befehlende Stimme des dunklen Mannes klang jetzt wie Eis, es war der absolute kalte Hochmut, der Jahrhunderte hindurch die Menschen in Schrecken versetzt und zu grollender Unterwerfung gezwungen hatte.
»Greenwitch«,
rief der Mann in die Nacht hinein. »Gib dein Geheimnis den Mächten der Finsternis! Gehorche! Die Finsternis ist wieder hereingebrochen, sie ist endgültig hereingebrochen,
Greenwitch!
Die Stunde ist gekommen.«
Will ballte die Fäuste so fest, dass die Nägel sich in seine Handflächen gruben; selbst ein Uralter spürte, wie die Gewalt eines solchen Befehls ihn zu bezwingen drohte. Er hielt den Atem an und wartete; er wusste nicht, wie eine solche Herausforderung auf die Wilden Mächte der Natur wirken würde, eine Kraft, die weder den Mächten des Lichts noch denen der Finsternis, noch den Menschen angehörte.
Die wilde Entschlossenheit des dunklen Mannes brachte die Luft zum Erzittern und nahm ihnen fast das Bewusstsein — dann begann ganz leise und allmählich ein Wandel. Die gewaltige Spannung in der Luft fiel zusammen und wurde unmerklich wieder zu dem Zaubergewebe, das diesen kleinen Teil der Erde umsponnen hielt, seit die
Greenwitch
den Maler zu Boden geworfen hatte. Die Wilden Mächte der Natur widerstanden jeder Herausforderung, unbesiegbar wie der Eber Trwyth. Will holte tief Atem; er begann zu ahnen, was kommen würde.
Allein auf dem Kai, drehte der Maler sich um sich selbst, taumelte, griff in die Luft, als suche er etwas zu fassen, was er nicht sehen konnte. Aus der Dunkelheit über dem Dorf hörte man wieder die klare Geisterstimme:
Die Stunde ist gekommen, aber nicht der Mann.
Die Stunde ist gekommen, aber nicht der Mann.
Die Stunde ist gekommen, aber nicht der Mann.
Während diese Worte noch nachhallten, erhob sich ein Murmeln, das Murmeln vieler Stimmen, die immer lauter riefen und flüsterten:
Roger Toms! Roger Toms!
Schatten strömten von allen Seiten in den Hafen hinein, alle die Schatten und Geister dieser Geisternacht:
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