Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
sind so dick — du würdest nie denken ...« Seine leise, etwas heisere Stimme überschlug sich vor Verblüffung.
»Lag der Felsblock auf der Straße?«
Rhys schüttelte den Kopf. »Reicht bis unter die Hecke. Ziemlich groß, das ist nur das Ende ... Als ich etwa halb so groß wie du war, habe ich manchmal auf ihm gesessen ...« Das Erstaunen hatte seine Schüchternheit vertrieben. »Aber warum hat das Auto einen Satz gemacht? So was Komisches, das Auto schien doch einen Satz zu machen, genau auf den Fels, zur Seite! Das war kein geplatzter Reifen, das hätte ich gemerkt ...« Er richtete sich auf und wischte sich die Regentropfen aus den Augenbrauen. »Na ja, na ja. Jetzt müssen wir wohl den Reifen wechseln.«
Will fragte erwartungsvoll: »Kann ich helfen?«
Rhys blickte auf ihn hinunter, auf die Augen mit den dunklen Rändern, das blasse Gesicht unter dem dicken, glatten braunen Haar. Plötzlich grinste er Will an, zum ersten Mal, seitdem sie sich kennen gelernt hatten. Es veränderte sein Gesicht völlig, ließ es sorglos und jung aussehen. »Jetzt kommst du zu uns, um wieder auf die Beine zu kommen, nachdem du so krank warst, und ich soll dich im Regen einen alten Reifen wechseln lassen? Mam würde fünfzig Anfälle kriegen. Zurück ins Warme mit dir, aber schnell!« Er ging zur Hecktür des eckigen kleinen Wagens und fing an, sich Werkzeug zusammenzusuchen.
Will kletterte gehorsam zurück auf den Vordersitz; es war wie in einer warmen, gemütlichen kleinen Schachtel da drinnen, nachdem ihm der kühle Wind auf der Straße den Nieselregen ins Gesicht geblasen hatte. Außer dem leisen Singen des Windes in den Telefonleitungen und einem gelegentlichen tiefen »Mäh« von einem Schaf in der Ferne war zwischen den offenen Feldern unter den emporragenden Hügeln kein Geräusch zu hören. Nur der Schraubenschlüssel klapperte; Rhys schraubte die Bolzen ab, mit denen das Reserverad an der Hintertür befestigt war.
Will lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Seine Krankheit hatte ihn lange ans Bett gefesselt; eine lange verschwommene Erinnerung an Schmerzen, Kummer und vorbeigleitende besorgte Gesichter. Obwohl er seit mehr als einer Woche wieder auf den Beinen war, wurde er immer noch sehr schnell müde. Es erschreckte ihn manchmal, wenn er nach etwas so Einfachem wie dem Hinaufsteigen einer Treppe atemlos und erschöpft war.
Er saß entspannt da und ließ die leisen Geräusche von Wind und blökenden Schafen auf sich einwirken. Dann ertönte ein anderes Geräusch. Er öffnete die Augen und sah im Seitenspiegel ein Auto hinter ihnen langsam anhalten.
Ein Mann kletterte heraus, untersetzt und bullig. Er trug eine Mütze und einen Regenmantel, der gegen seine Gummistiefel schlug. Er grinste. Ohne jeden Grund missfiel Will das Grinsen vom ersten Augenblick an. Rhys öffnete wieder die Hecktür des Landrovers, um sich den Wagenheber zu holen, und Will hörte, wie der Mann ihn auf Walisisch begrüßte; die Worte waren für Will unverständlich, aber sie klangen eindeutig höhnisch. Die Bedeutung des kurzen Gespräches war Will so klar, als hätte er jedes Wort verstanden.
Es war offensichtlich, dass der Mann sich über Rhys lustig machte, weil er im Regen einen Reifen wechseln musste. Rhys antwortete kurz, aber ohne sich gereizt zu zeigen. Der Mann starrte bewusst aufdringlich in das Innere des Wagens; er trat ans Fenster, um hineinzuschauen, und starrte Will an, ohne zu lächeln, aus merkwürdigen kleinen Augen mit hellen Wimpern; dann fragte er Rhys etwas. Als Rhys ihm antwortete, war eines der Worte »Will«. Der Mann im Regenmantel sagte wieder etwas, diesmal mit offenbar gegen sie beide gerichtetem Hohn, um dann ohne Warnung in einen erstaunlichen Schwall hastiger, erbitterter Worte auszubrechen, aufgeregte und heisere Worte, die aus ihm hervorströmten wie die Fluten eines schäumenden Flusses bei Hochwasser. Rhys schien überhaupt nicht zuzuhören. Endlich hielt der Mann zornig inne. Er drehte sich um und marschierte zu seinem Auto zurück, dann fuhr er langsam an ihnen vorbei, die Augen immer noch auf Will gerichtet. Ein schwarzweißer Hund sah dem Mann über die Schulter, und Will stellte fest, dass das Auto ein Lieferwagen war, grau und ohne Heckfenster.
Er schob sich auf den Fahrersitz und kurbelte das Fenster auf; der Landrover bewegte sich sanft nach oben, als Rhys den Wagenheber betätigte.
»Wer war das?«, fragte Will.
»Ein Bursche, der Caradog Prichard heißt, von weiter oben im Tal.«
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