Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
zeigte ihm einen
Führer für Nordwales,
für fünfunddreißig Pence.
»Na ja«, sagte Will und zählte sein Geld zögernd auf den Tisch, »ich kann es ja später mit nach Hause nehmen.«
»Es wäre ein hübsches Geschenk«, sagte das Mädchen ernsthaft. »Sind ein paar schöne Bilder drin, wirklich. Und schon der Umschlag!«
»Danke«, sagte Will.
Als er draußen das kleine Heftchen durchblätterte, erfuhr er, dass die Sachsen im Jahre 516 Tywyn gegründet hatten, rund um die Kirche, die St. Cadfan aus der Bretagne gebaut hatte, und um seinen heiligen Brunnen herum, und dass die Inschrift auf einem Stein in der Kirche als die älteste noch existierende walisische Inschrift galt und so übersetzt werden konnte: »Der Körper von Cyngen ruht auf der Seite, die die Zeichen markieren werden. In der Abgeschiedenheit unter dem Erdhügel liegt Cadfan. Traurig, dass ein Hügel das Lob der Erde umschließet. Mag er ruhen ohne Befleckung.« Aber über Cadfans Weg wurde kein Wort gesagt. Und auch in der kleinen Broschüre in der Kirche fand Will nichts.
Will dachte: Nicht Cadfan brauche ich, sondern seinen Weg. Ein Weg ist eine Straße. Ein Weg, wo die Turmfalken rufen, muss über Heideland oder Berge führen.
Der Gedanke daran ließ ihn sogar das Meer vergessen, während er eine Zeit lang geistesabwesend an den Wellenbrechern des windigen Strandes entlangwanderte. Als er sich mit seinem Onkel traf, fand er bei dem auch keine Hilfe.
»Cadfans Weg?«, fragte David Evans. »Du sprichst es übrigens falsch aus; ein f wird im Walisischen immer wie ein w ausgesprochen ... Cadfans Weg ... Nein. Es hört sich kein bisschen vertraut an. Aber ich weiß nichts über diese Dinge. John Rowlands ist der Mann, an den du dich mit solchen Fragen wenden musst. Er hat ein Gedächtnis wie ein Konversationslexikon, der gute John. Voll gestopft mit diesen alten Dingen.«
John Rowlands war irgendwo draußen auf den Weiden beschäftigt; so musste Will sich für den Augenblick mit einer vielfach gefalteten Landkarte zufrieden geben. Er nahm sie am Nachmittag mit hinaus auf seinem Weg durch das sonnenbeschienene Tal, um allein bis zu den Grenzen des Anwesens zu laufen; sein Onkel hatte sie mit Bleistift flüchtig für ihn eingezeichnet. Clwyd lag in der Niederung und erstreckte sich über den größten Teil des Dysynni-Tales. Ein Teil der Ländereien in der Nähe des Flusses war sumpfig, andere reichten bis zu den geröllbedeckten Berghängen hinauf, grün und grau und farnbraun. Aber der größte Teil war üppiges Talland, fruchtbar und freundlich, einiges vor kurzem nach dem Einbringen der diesjährigen Ernte umgepflügt, während alles Übrige als Weideland für die breiten, kräftigen schwarzen walisischen Rinder diente. Auf den Berghängen weideten nur Schafe. Einige der niedrigeren Hänge waren gepflügt worden, obwohl auch sie Will so steil erschienen, dass er sich fragte, wie ein dort pflügender Traktor es geschafft haben konnte, nicht umzukippen. Weiter oben wuchsen nur Farn, einzelne Gruppen von vom Wind verkrüppelten armseligen Bäumen und Gras. Der Berg ragte in den Himmel hinauf und dann und wann drang das tiefe, ziellose Blöken eines Schafes hinunter in den stillen, warmen Nachmittag.
Ein anderes Geräusch führte ihn unerwartet zu John Rowlands. Als er über eines der zu Clwyd gehörenden Felder auf den Fluss zuging, eine hohe wilde Hecke zu seiner einen, die dunkle umgepflügte Erde zu seiner anderen Seite, hörte er irgendwo vor sich ein dumpfes schlagendes Geräusch. Nach einer Biegung sah er dann plötzlich eine Gestalt, die sich gleichmäßig und rhythmisch wie in einem langen, bedächtigen Tanz bewegte. Will blieb stehen und sah fasziniert zu. Rowlands, mit halb offenem Hemd und einem roten Tuch um den Hals, arbeitete an einer Verwandlung. Er bewegte sich langsam an der Hecke voran, zuerst mit einem mörderischen Werkzeug, das aussah wie eine Kreuzung zwischen einer Axt und dem Entermesser eines Piraten, sorgfältig hier und da hackend, dann legte er das Werkzeug ab und zerrte zusammen und verflocht, was von der dichten Hecke noch übrig geblieben war. Vor ihm wuchs die Hecke wild und ungebändigt; große Äste ragten unkontrolliert in alle Richtungen: Haselnuss- und Weißdornsträucher versuchten, zu ausgewachsenen Bäumen zu werden. Hinter sich ließ Rowlands auf seinem erbarmungslosen Weg einen sauberen Zaun zurück: Unzählige geköpfte Zweige standen wie Speere hüfthoch; jeder fünfte Zweig war schonungslos
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