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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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wusste er, dass er in dem Augenblick, als das Schaf gestolpert und niedergestürzt war, etwas mehr gesehen hatte als die gestaltlose Bewegung im Farn, wo der Angreifer geflohen war. Er hatte einen silbrigen Körper aufleuchten sehen und die Schnauze von einem Tier, das sehr nach einem weißen Hund aussah.
     
    Musik drang in einem goldenen Strom aus dem Haus, als sei die Sonne hinter den Fenstern und scheine heraus. Will blieb erstaunt stehen und hörte zu. Jemand spielte Harfe; lange dahinplätschernde Arpeggios ertönten wie Vogelgesang, dann ging die Musik ohne Pause über in etwas, das wie eine Sonate von Bach klang, jeder Ton und die ganze Melodie so klar und exakt wie die Struktur von Schneeflocken. John Rowlands blickte einen Augenblick lächelnd auf Will hinunter, dann öffnete er die Tür und ging ins Haus. Eine Seitentür war offen; sie führte in ein kleines Wohnzimmer, das Will noch nie aufgefallen war. Es sah aus wie eine ordentliche gute Stube, versteckt hinter der großen Wohnküche, wo sich alles Leben im Haus abspielte. Die Musik kam aus diesem Zimmer; Rowlands steckte den Kopf durch die Tür und Will tat es ihm nach. Dort saß Bran und ließ die Hände über die Saiten einer Harfe gleiten, die doppelt so groß war wie er.
    Er hielt inne und brachte die Saiten mit den Handflächen zur Ruhe. »Oh, hallo.«
    »Viel besser«, sagte John Rowlands. »Heute war es sehr viel besser.«
    »Gut«, sagte Bran.
    Will sagte: »Ich wusste nicht, dass du Harfe spielst.«
    »Oh«, sagte Bran herablassend. »Es gibt viele Dinge, die die Engländer nicht wissen. Mr Rowlands gibt mir Unterricht. Er hat auch deiner Tante Unterricht gegeben. Die hier gehört ihr.« Er fuhr mit einem Finger über die surrenden Saiten. »Im Winter ist es in diesem Zimmer eisig, aber sie bleibt besser gestimmt als im Warmen ... Oh, Will Stanton, du hast keine Ahnung, an welch einem kultivierten Ort du dich befindest. Dies ist der einzige Bauernhof in Wales, auf dem es zwei Harfen gibt. Mr Rowlands hat in seinem Haus auch eine, musst du wissen.« Er wies mit dem Kopf in Richtung Fenster, auf die drei kleinen Häuser auf der anderen Seite des Hofes. »Meistens übe ich dort. Aber heute ist Mrs Rowlands beim Hausputz.«
    »Wo ist David Evans?«, fragte John Rowlands.
    »Mit Rhys irgendwo draußen. Im Kuhstall, glaube ich.«
    »Diolch.«
Rowlands ging geistesabwesend hinaus.
    »Ich dachte, du wärest in der Schule«, sagte Will.
    »Heut Nachmittag ist frei. Ich hab vergessen, warum.« Bran trug die dunkel getönte Schutzbrille sogar drinnen; sie verlieh ihm ein exzentrisches und unwirkliches Aussehen: Die unergründlichen dunklen Gläser raubten seinem blassen Gesicht jeden Ausdruck. Er trug auch dunkle Hosen und einen dunklen Sweater, die sein weißes Haar noch auffälliger und unnatürlicher erscheinen ließen. Will dachte plötzlich:
Er tut es absichtlich, er will anders sein.
    »Etwas Schreckliches ist passiert«, sagte er und erzählte Bran von dem Schaf. Aber wieder überging er den flüchtigen Blick, den er auf den Angreifer hatte werfen können und der ihn vermuten ließ, dass es ein weißer Hund gewesen war.
    »Bist du sicher, dass das Schaf noch lebte, als John es zurückließ?«, fragte Bran.
    »Oh, ja, ich glaube schon. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass jemand einfach gehalten und es mitgenommen hat. Ich denke, John kümmert sich darum.«
    »Was für eine unheimliche Geschichte«, sagte Bran. Er stand auf und streckte sich. »Ich hab für heute genug geübt. Kommst du mit nach draußen?«
    »Ich sage nur eben Tante Jen Bescheid.«
    Auf dem Weg nach draußen nahm Bran seine flache lederne Schultasche von einem Stuhl neben der Tür auf. »Die muss ich nach Hause bringen. Und den Kessel für Dad aufsetzen. Er kommt um diese Zeit für eine Tasse Tee rein, wenn er in der Nähe arbeitet.«
    Will fragte neugierig: »Arbeitet deine Mutter auch?«
    »Oh, meine Mutter ist tot. Sie starb, als ich noch ein Baby war, ich kann mich nicht mehr an sie erinnern.« Bran warf ihm einen merkwürdigen Blick von der Seite zu. »Dann hat dir also niemand von mir erzählt? Mein Dad und ich, wir haben einen Junggesellenhaushalt. Mrs Evans ist immer sehr nett. Am Wochenende essen wir immer bei ihr zu Abend. Natürlich — du hast ja noch kein Wochenende hier erlebt.«
    »Ich habe das Gefühl, ich sei schon Wochen hier«, sagte Will und hielt das Gesicht in die Sonne. Etwas an der Art, wie Bran sprach, ließ ihn sich sonderbar unbehaglich fühlen,

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