Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
niemand wusste mehr, wann.«
Großonkel Merry wandte den Kopf und lächelte sie an. »Du hast Recht. Es war einmal ... vor langer Zeit ... da sind vielleicht einmal Dinge geschehen, aber man hat so lange darüber gesprochen, dass schließlich niemand es genau wusste. Und unter all dem, was die Leute im Lauf der Zeit hinzugefügt haben, den Zauberworten und den Wunderlampen, steckt doch nur eins — der gute Held kämpft gegen den Riesen oder die Hexe oder den bösen Onkel. Das Gute gegen das Böse.«
»Aschenbrödel.«
»Aladin.«
»Hans, der Riesentöter.«
»Und alle anderen.« Er senkte wieder den Blick. Seine Finger liebkosten den gebogenen Rand des Pergaments. »Wisst ihr, wovon dieses Manuskript handelt?«
»König Arthur«, sagte Barney sofort. »Und König Mark. Simon hat die Namen gefunden. Sie sind lateinisch.«
»Und was weißt du über König Arthur?«
Barney sah sich mit einem triumphierenden Blick um, weil die andern ihm zuhören mussten, und holte tief Atem, um eine lange Aufzählung zu beginnen, aber dann konnte er doch nur stammeln.
»Nun ... er war König von England, und er hatte die Ritter von der Tafelrunde, Lancelot und Galahad und Kay und die andern. Und sie kämpften in Turnieren und retteten Leute vor bösen Rittern. Und Arthur schlug alle mit seinem Schwert Excalibur. Ich glaube, das war das Gute gegen das Böse, wie du es eben gesagt hast, wie in den Märchen. Nur gab es ihn wirklich.«
Großonkel Merrys stilles, glückliches Lächeln flackerte wieder auf. »Und wann war er König von England?«
»Nun — « Barney zuckte die Schultern. »Vor langer, langer Zeit ...«
»... wie in den Märchen«, beendete Jane den Satz. »Jetzt verstehe ich. Aber Gummery, was willst du uns damit sagen? Ist König Arthur auch ein Märchen?«
»Nein«, sagte Barney empört.
»Nein«, sagte Großonkel Merry. »Es hat ihn wirklich gegeben. Aber mit ihm ist das Gleiche geschehen, versteht ihr? Er hat vor so langer Zeit gelebt, dass es keinen schriftlichen Bericht über ihn gibt. So ist auch er zu einer Geschichte geworden, zu einer Legende.«
Simon zerrte unruhig an dem Riemen seines Rucksacks. »Aber ich verstehe nicht, was das mit dem Manuskript zu tun hat.«
Der Wind, der über die Landzunge strich, spielte in Großonkel Merrys weißem Haar, das sich gegen den blauen Himmel abhob, und als er jetzt den Blick senkte, sah er weise und streng aus.
»Ein wenig Geduld. Und hört mir jetzt genau zu, vielleicht ist es schwer für euch, zu verstehen, was ich jetzt sage.
Erstens: Ihr habt mich von Logres sprechen hören. Das war vor tausenden von Jahren der Name für dieses Land, in jenen alten Zeiten, wo der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen härter und offener ausgetragen wurde als heute. Dieser Kampf geht aber um uns herum immer noch weiter: Er gleicht einem Kampf zwischen zwei Heeren. Manchmal scheint es, dass das eine gewinnen wird, manchmal das andere; aber noch nie hat eine der Seiten einen vollständigen Sieg errungen. Und das wird auch nie geschehen«, fügte er leise wie zu sich selbst hinzu, »denn etwas von beidem ist in jedem Menschen.
Manchmal kommt im Lauf der Jahrhunderte dieser uralte Kampf zu einem Höhepunkt. Das Böse wird sehr stark und scheint zu siegen. Aber zur gleichen Zeit gibt es immer einen Führer in der Welt, einen großen Menschen, der manchmal mehr als ein Mensch zu sein scheint, der die Mächte des Guten anführt und den verlorenen Boden und die verlorenen Menschen wieder zurückgewinnt.«
»König Arthur«, sagte Barney.
»König Arthur war ein solcher Führer«, sagte Großonkel Merry. »Er kämpfte gegen die Menschen, die Logres erobern wollten, die raubten und mordeten und alle Regeln eines gerechten Kampfes brachen. Er war ein starker und guter Mensch und die Menschen jener Tage vertrauten ihm ohne Einschränkung. Mit diesem Vertrauen im Rücken war Arthurs Macht sehr groß — so groß, dass in den Geschichten, die sich seither um ihn gerankt haben, die Leute von Zauberkräften sprechen. Aber Zauber ist nur ein Wort.«
»Aber er hat den Kampf doch nicht gewonnen«, sagte Jane plötzlich mit Überzeugung, »sonst hätte es seitdem keine Kriege mehr gegeben.«
»Nein, er hat nicht gewonnen«, sagte Großonkel Merry, und selbst in diesem klaren Nachmittagslicht schien er sich mit jedem Wort mehr zu entfernen, er schien so alt wie der Felsen hinter ihm, so alt wie die Zeiten, von denen er sprach.
»Er wurde nicht ganz geschlagen, aber er konnte den Kampf
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