Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
drei Kindern verschiedenen Alters, die über die flache grüne Mulde hinwegschrien. Ein steiler, klippenähnlicher Felsen auf der gegenüberliegenden Seite warf ein Echo zurück.
»He! ...
He ...«
»Uuuuuh.
Uuuuuh «
»Mäh mäh Schwarzschaf! ...
Schwarzschaf ... Schaf ...«
»Was essen die Studenten? ...
Studenten ... Enten ...«
Jane sagte: »Wenn man genau hinhört, ist es eigentlich ein doppeltes Echo, das zweite ganz leise.«
»Studenten!«, schrie das lauteste der Kinder wieder, entzückt von sich selbst.
Barney sagte laut und deutlich: »Komisch, dass den Leuten nie etwas Intelligentes einfällt, wenn sie ein Echo ausprobieren wollen.«
»Es ist genauso, wie wenn man herausfinden will, ob ein Mikrofon funktioniert«, sagte Will. »Test, Test, eins, zwei, drei.«
»Unser Englischlehrer hat dafür einen sehr unanständigen Vers«, sagte Simon.
»Man kann einem Echo keine unanständigen Verse zurufen«, entgegnete Barney empört. »Echos sind etwas Besonderes. Die Leute sollten ... sollten ihnen etwas zusingen.«
»Singen!«, sagte Jane. Die kleinen Kinder kreischten immer noch den Berg an; sie musterte sie voller Abscheu.
»Und warum nicht? Oder Shakespeare zitieren. Simon hat vor den Ferien den Prospero gespielt — warum nicht ein bisschen daraus?«
»Wirklich?« Bran sah Simon mit offenkundigem Interesse an. »Nur weil ich am größten war«, sagte Simon abwertend. »Und weil ich die richtige Stimme hatte.«
»Studenten!«, schrien die drei schrecklichen Kinder gemeinsam.
»Also wirklich!«, sagte Jane ungeduldig. »Was ist mit ihren blöden Eltern los?« Sie drehte sich gereizt um und ging ein kleines Stück zurück hangabwärts. Der Wind schien hier weniger böig zu sein und aus dem Regen war ein feiner Dunst geworden. Gestrüpp zerkratzte ihr die Knöchel; der Hang war dicht bewachsen mit Heidekraut und niedrigen Heidelbeersträuchern, an denen hier und da zwischen den Blättern winzige blauschwarze Beeren saßen.
Die Stimmen der anderen wurden leiser, während sie davon-schlenderte. Sie schob die Hände tief in die Taschen und zog die Schultern hoch, als wolle sie etwas von ihrem Rücken abschütteln.
Schwarzer Hund auf meiner Schulter,
dachte sie mit einem schiefen Lächeln; es war die in der Familie übliche Bezeichnung für eine vorübergehende schlechte Laune, in der letzten Zeit gewöhnlich ihre eigene. Aber diesmal, spürte Jane, ging es um mehr als eine trübe Stimmung; es war etwas Fremdes da, was sie nicht erklären konnte, nie vorher empfunden hatte. Eine innere Unruhe, eine halb furchtsame Vorahnung von etwas, was ein Teil von ihr zu verstehen schien, ein anderer Teil nicht ... Jane seufzte. Es war, als sei sie zwei Leute zur gleichen Zeit, als lebe sie mit jemandem zusammen, ohne die geringste Vorstellung zu haben, was der andere als Nächstes tun oder fühlen würde.
Ihr Blick fiel durch eine Lücke am hügeligen Horizont auf einen orangefarbenen Fleck; die laute Familie verließ den Hang. Die Mutter zerrte ein Kind ärgerlich am Arm hinter sich her. Sie verschwanden hinter einem Hügel. Aber Jane kehrte nicht zu den anderen zurück. Sie schlenderte ziellos allein weiter, durch Heidekraut und nasses Gras, bis ihr der Wind plötzlich wieder kalt ins Gesicht blies und sie feststellte, dass sie zum Bärtigen See zurückgekehrt war. Hinter sich hörte sie ein leises Lachen und einen Ruf von Barney, dann den gleichen Ruf noch einmal: eine Aufforderung an das Echo. Sie stand dort und blickte finster über das dunkle, von Pflanzen bedeckte Wasser hinweg auf das ferne Tal hinter dem See. Der Wind sang in ihren Ohren. Die dichten grauen Wolken hingen jetzt so tief, dass sie in weißen Dunstschleiern und -fetzen über den Gipfel des Berges fegten, zum See hinunterwirbelten und sich dann wogend das Tal hinunterwälzten. Die ganze Welt schien grau zu sein, als habe das Sommergras alle Farbe verloren.
Nach einem Windwirbel trat plötzlich Stille ein und Jane hörte weit hinter sich ganz leise Simons Stimme, ein plötzlicher Geräuschfetzen. »...
du Erde, du! Sprich! ...«
Und dann, noch schwächer, vielleicht nur in ihrer Einbildung, hörte sie das Echo: »...
sprich ... sprich ...«
Dann folgten ein paar Worte von einer anderen Stimme, klar und fremd, und sie wusste, dass es Bran war, der auf Walisisch rief, und wieder kam das Echo schwach zurück und wiederholte die Worte, vertraut, wenn auch unverständlich.
Der Wind flackerte wieder auf, der Nebel wehte in einem zerfetzten
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