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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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Schleier über das andere Ende des Sees und verhüllte das Glückliche Tal. Auf das Echo von Brans Ruf folgte, wie auf ein Stichwort, eine dritte Stimme, die sang, so hoch und lieblich und unirdisch, dass Jane atemlos und regungslos dastand und jeden ruhenden Muskel spürte, andererseits aber das Gefühl hatte, völlig körperlos zu sein. Sie wusste, dass es Will war; sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals zuvor singen gehört zu haben. Sie konnte nicht einmal denken oder irgendetwas anderes tun als lauschen. Die Stimme stieg mit dem Wind empor, über den Hügel hinweg, fern, aber klar, in einer seltsamen, lieblichen Melodie, und mit ihr und nach ihr folgte sehr schwach das Echo des Liedes, eine gespenstische zweite Stimme, die sich mit der ersten verflocht.
    Es war, als sängen die Berge.
    Und während Jane blicklos auf die tief über dem See wehenden Wolken starrte, näherte sich jemand.
     
    Irgendwo in dem wogenden Grau leuchtete allmählich ein Farbfleck auf, rot und rosa und blau, und die Farben vermischten sich schneller miteinander, als die Augen folgen konnten. Sie schimmerten sanft und warm auf dem kalten Berg und hielten Janes Blicke wie eine Flamme hypnotisch fest. Dann blinzelte Jane ungläubig, als ihr klar wurde, dass um den Farbfleck herum eine Gestalt Form anzunehmen begann. Kein eindeutiger, klarer Umriss, doch eine Andeutung, ein Hinweis, den man sehen könnte ...
    Das Leuchten wurde intensiver, bis es plötzlich eingefangen war in einem schimmernden rosenfarbenen Stein, der in einen Ring gefasst war, und der Ring saß auf dem Finger einer schlanken Gestalt, die vor Jane stand, etwas vorgebeugt, als stütze sie sich auf einen Stock. Zuerst war die Gestalt von einer solchen Helligkeit umgeben, dass Jane sie nicht direkt anblicken konnte; ihre Augen wandten sich dem Boden zu, auf dem die Gestalt stand, nur um zu entdecken, dass es keinen Boden gab. Die Gestalt schwebte vor ihr, ein Teil jener unbekannten Welt, die sich hinter dem Grau verbarg. Was sie jetzt sah, war die zierliche Figur einer alten Dame in einem langen hellen Gewand; ihr Gesicht war ebenmäßig, freundlich und doch hochmütig, mit Haren blauen Augen, die merkwürdig jung und strahlend wirkten in dem uralten, von einem Netz feiner Falten durchzogenen Gesicht.
    Jane hatte die anderen vergessen, den Berg und den Regen vergessen, alles vergessen außer dem Gesicht, das ihr zugewandt war und jetzt leise lächelte. Aber noch immer schwieg die alte Dame.
    Jane sagte mit belegter Stimme: »Sie sind die Alte Dame. Wills Alte Dame.«
    Die Alte Dame neigte den Kopf, eine langsame, anmutige Bewegung. »Und da du so viel siehst, kann ich zu dir sprechen, Jane Drew. Es war bestimmt, von Anfang an, dass du die letzte Botschaft überbringen sollst.«
    »Botschaft?« Janes Stimme war nur ein Flüstern.
    »Es gibt Dinge, die nur zwischen Gleichartigen übermittelt werden können«, sagte die liebliche, sanfte Stimme aus dem Nebel. »Es ist wie das Muster eines Dominospiels. Denn du und ich, wir sind uns sehr ähnlich, Jane, Jana, Juno, Jane, auf eindeutige Weise, die uns von allen anderen an dieser Suche Beteiligten trennt. Und du und Will — ihr gleicht euch in eurer Jugend und eurer Lebenskraft, beides Dinge, die mir fehlen.«
    Die Stimme wurde schwächer, wie vor großer Müdigkeit, dann fing sie sich wieder, und der rosenfarbige Stein an der Hand der Alten Dame schimmerte heller. Sie richtete sich auf und ihr Gewand erstrahlte jetzt in einem reinen Weiß, hell wie Mondlicht über dem grauen See.
    »Jane«, sagte sie.
    »Gnädige Frau?«, erwiderte Jane sofort und beugte ohne Befangenheit den Kopf und kniete fast nieder, ohne sich an Jeans und Anorak zu stören, wie in einem Hofknicks aus einer anderen Zeit.
    Die Alte Dame sagte mit klarer Stimme: »Du musst ihm sagen, dass sie zum Verlorenen Land gehen müssen, sobald es sich zwischen Land und Meer zeigt. Und ein weißer Knochen wird sie zurückhalten und ein fliegender Maibaum wird sie retten und nur das Horn kann das Rad anhalten. Und in dem Glasturm zwischen den sieben Bäumen werden sie das Kristallschwert des Lichts finden.«
    Ihre Stimme zitterte und endete in einem Keuchen, als ringe sie um ein letztes bisschen Kraft.
    Jane kämpfte darum, sich die Worte zu merken, kämpfte darum, sich das Bild der Alten Dame einzuprägen, und sagte: »In dem Glasturm zwischen den sieben Bäumen. Und ... ein weißer Knochen wird sie zurückhalten, ein fliegender Maibaum sie retten. Und nur das ... das

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