Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
unter dem Kinn, während er ihn von dem Felsen wegzog. »Hier ist ein winziger Spalt«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Ich kann meine Finger hineinstecken — oh! Der Fels lässt sich bewegen! Ich habe gespürt, wie er sich rührt, ganz bestimmt. Ich hätte mir beinah die Hand gequetscht. Der Stein ist furchtbar groß, aber ich glaube ... Jane, kannst du hier auf meine Seite kommen?« Jane drängte sich zwischen den Brocken hindurch neben ihn.
»Jetzt fass mal da an«, wies Simon sie an, »an dem vorstehenden Stück, und wenn ich es wage, drückst du ihn, so fest du kannst, von mir weg, auf die See zu. Warte einen Augenblick ... ich muss ihn richtig zu packen kriegen ... ich weiß nicht, ob es gehen wird... jetzt:
drücken!«
Gehorsam, aber ohne jede Vorstellung, was von ihr erwartet wurde, stemmte sich Jane mit aller Kraft gegen den Felsen. Neben ihr versuchte Simon keuchend, den Stein anzuheben. Eine ganze Weile geschah nichts. Dann, als sie schon dachten, die Lungen würden ihnen bersten, spürten sie, wie sich der Felsen unter ihren Händen rührte. Er zitterte ganz leicht, dann neigte er sich mit einem mahlenden, kratzenden Geräusch. Sie taumelten zurück und der schwere, runde, raue Felsbrocken rollte von ihnen weg und fiel in die nächste Bodenvertiefung. Sie konnten fühlen, wie der knirschende Aufprall den Felsboden, auf dem sie standen, erschütterte.
Dort wo der Brocken gelegen hatte, war ein dunkles, formloses Loch mit einem Durchmesser von etwa sechzig Zentimetern. Wie erstarrt und mit offenem Mund standen sie da. Rufus kam he-reingetappt, neigte den Kopf, schnüffelte vorsichtig an dem Loch und wandte sich ihnen dann zu; sein Schwanz fuhr hin und her, die Zunge hing ihm seitwärts aus dem Maul, er sah aus, als grinse er.
Schließlich trat Simon vor und entfernte ein paar kleinere Brocken vom Rand des Loches. Er kniete nieder und spähte hinein, dann streckte er den Arm in das Loch, um zu sehen, wie tief es war.
Sein Arm verschwand bis zur Schulter, er legte sich flach auf den Boden, konnte aber nichts fühlen als den rauen Fels an den Seiten.
Er blinzelte zu Barney und Jane hinauf. »Ich kann keinen Boden fühlen«, sagte er leise.
Seine Stimme brach auch ihr Schweigen. Sie stellten fest, dass sie den Atem angehalten hatten.
»Steh auf. Lass uns auch mal sehen.«
»Das muss es sein, nicht wahr? Hier muss er den Gral versteckt haben.«
»Wie tief glaubst du, dass es nach unten geht?«
»Mein Gott, das ist unglaublich! Der kluge Rufus!«
Rufus wedelte noch schneller mit dem Schwanz.
»Dieser Felsbrocken«, sagte Jane und betrachtete ihn ehrfürchtig, wie er da auf der Seite lag. »Er muss seit neunhundert Jahren da gelegen haben. Stellt euch vor ... neunhundert Jahre ...«
»Nun, er war auch nicht gerade lose.« Simon streckte und bog vorsichtig seine verkrampften Armmuskeln. »Er muss allerdings ganz vorsichtig ausbalanciert gewesen sein, sonst hätten wir ihn gar nicht von der Stelle bekommen. Aber jetzt müssen wir herausfinden, wie tief dieses Loch ist, dann erst können wir nachsehen, ob etwas darin ist.«
Er betrachtete nachdenklich die dunkle, gähnende Höhlung im Felsen. Jane seufzte und hörte auf, über die Jahrhunderte nachzudenken.
»Wirf einen Stein hinunter, dann kannst du hören, wie tief es ist. Das ist wie beim Donner. Man zählt die Sekunden zwischen dem Blitz und dem Donner, und dann weiß man, wie weit entfernt das Gewitter ist.«
Simon nahm einen losen Stein vom Rand des Loches und hielt ihn über die finstere Öffnung. Er ließ ihn fallen und er verschwand vor ihren Blicken. Sie horchten.
Nach eine ganzen Weile rappelte Jane sich auf. »Ich habe nichts gehört.«
»Ich auch nicht.«
»Versuch's noch mal.«
Simon ließ wieder einen Stein in das Loch fallen, und wieder strengten sie die Ohren an, um den Aufprall zu hören. Nichts geschah.
»Es war wieder nichts.«
»Nein.«
»Das Loch hat keinen Boden.«
»Sei kein Idiot. Das ist unmöglich.«
»Vielleicht kommt er in Australien heraus«, sagte Barney. Er betrachtete das Loch mit ängstlichem Blick.
»Das bedeutet nur, dass der Stein so tief aufgeprallt ist, dass wir es nicht mehr hören konnten«, sagte Simon. »Es muss schrecklich tief sein. Ich wünschte, wir hätten ein Seil mitgebracht.«
»Sieh mal in deinen Taschen nach«, sagte Jane. »Da hast du doch immer allerlei Mist drin. Auch Barney. Jedenfalls sagt Mutter das jedes Mal, wenn sie sie sauber machen muss. Vielleicht hast du eine Kordel drin
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