Lichtjagd
war es, was ihn von Anfang an zu ihr hingezogen hatte, obwohl er es erst jetzt in Worte fassen konnte.
»Ich werde dir neue Ameisen besorgen, ja, Arkady? Ich werde draußen ein paar von den kleinen Biestern fangen. Wenn’s sein muss, kaufe ich dir eine Ameisenfarm. Was immer du willst. Aber schau mich um Gottes willen nicht mehr so an.«
Er lächelte und bemühte sich. »Die Ameisen kommen wieder. Das liegt in ihrer Natur.«
Er dachte, dass sie nun gehen würde, aber sie ging nicht. Stattdessen beobachteten sie gemeinsam die Ameisenkarawane,
merklich ausgedünnt nach den Verwüstungen, die Osnats Stiefel angerichtet hatten, aber immer noch in Bewegung dank der unbeugsamen, dirigierenden Logik des Superorganismus.
»Übrigens«, sagte Arkady, »hast du meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Welche Fr…? Ach so. Nein, es läuft nichts mehr zwischen Mosche und mir. Jedenfalls nicht auf dieser Ebene.«
»Warum nicht?«
Sie hob amüsiert eine kupferrote Augenbraue. Offensichtlich gewann sie ihre Fassung zurück. »Ich hab’s ihm nicht erklärt. Was macht dich zu etwas Besonderem?«
»Nichts.« Arkady schloss die Augen und hob eine Hand, um die anschwellende Beule über seinem Wangenknochen zu betasten. »Überhaupt nichts.«
Osnat drückte ihm wieder das Handtuch auf die Wange. »Tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe. Wirklich.« Sie lachte auf eine Weise, dass es fast wie ein Weinen klang. »Dir bleibt wirklich nichts erspart, was, Jungchen?«
»Meinst du nicht, dass es von jetzt an besser wird?«
»Es wird noch schlimmer.«
»Ich weiß nicht, ob ich das verkraften kann.«
»Die meisten Leute können sehr viel mehr verkraften, als sie glauben.«
Er blickte zu ihr auf. Was konnte er ihr sagen, das Arkasha helfen würde, wenn er denn, Gott bewahre, immer noch Hilfe brauchte? Wie konnte er sie nur beeinflussen?
»Hilf meinem Freund, Osnat. Bitte. Er ist ein guter Mensch. Er verdient deine Hilfe.«
Sie stand auf, runzelte die Stirn und drückte ihm das Tuch in die Hand. »Drück das Handtuch auf die Beule und tränke es alle paar Minuten mit kaltem Wasser. Dann wird’s nicht ganz so schlimm.«
»Osnat …«
»Und rede dir bloß nicht ein, dass du irgendeine Art von Beziehung zu mir hast, Arkady. Ich bin nicht deine Freundin.
Ich hab’s nicht auf dich abgesehen. Und wenn wir so tun, als wäre es anders, machen wir’s uns beiden nur unnötig schwer.«
Sie wollte jetzt gehen, erkannte er. Und das Gespräch, das ohnehin nirgendwohin geführt hatte, war vorbei.
»Nein, Osnat! Warte!«
In der offenen Tür drehte sie sich noch einmal zu ihm um. »Ich fühle mich schlecht wegen dir. Und im Moment komme ich mir wie ein Ungeheuer vor, weil ich dich geschlagen habe. Aber ich kann es mir nicht erlauben, mich von persönlichen Gefühlen beeinflussen zu lassen. Ich bin hier, weil man mich dafür bezahlt. Ich führe Mosches Befehle aus, weil ich dafür bezahlt werde. Es ist nichts Persönliches. Nichts davon ist persönlich. Ich habe meine Entscheidung vor langer Zeit getroffen. «
»Und wenn Mosche dir befiehlt, mich umzubringen?« Er wollte es eigentlich nicht als Frage formulieren, aber nun stand sie im Raum, so schroff, dass er zusammenzuckte.
»Willst du, dass ich dich belüge?«, fragte Osnat. »Ich habe nicht den Eindruck, dass du jemand bist, der sich gern belügen lässt.«
Zwanzig Minuten bevor die Grenze geschlossen wurde, fuhren sie in einem verstaubten, stinkenden, benzingetriebenen Minivan, von dem Arkady vermutete, dass er älter war als das KnowlesSyndikat, nach Palästina hinüber.
Der Mann, der ihre Reisepapiere überprüfte, saß in einem großen, leeren Büro an einem großen, leeren Schreibtisch, unter einem großen Bronzerelief, das einen Löwen darstellte, der gerade eine Antilope ausweidete. Er arbeitete im Dunkeln, und die einzige Beleuchtung war das verblassende Tageslicht, das durch die staubverschmierten Fenster hereindrang. Es gebe keinen Strom, erklärte er in einem Ton genügsamer Selbstgerechtigkeit, weil die Zionisten das Wasser abgestellt hatten, das die hydroelektrischen Turbinen betrieb. Er entschuldigte sich mit distanzierter Höflichkeit für
den Umstand, dass der Ausfall der Stromversorgung ihnen solche Unannehmlichkeiten bereitete, weil er ihre Reiseunterlagen so schlecht lesen konnte. Er schlug vor, dass sie künftig die Grenze zwischen 10:00 und 12:00 vormittags überquerten. Die Morgenstunden von Wochentagen waren erfahrungsgemäß die günstigste Zeit,
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