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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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sich vorbeugen musste, um sie zu lesen.
    Als sie den Laden betraten, war es so, als ob sie in eine Höhle hineingingen. Der Fenster waren hermetisch versiegelt, und die heruntergezogenen Jalousien ließen nicht einmal das bisschen Licht durch, das durch die verschmierten Scheiben gedrungen wäre. Der Laden bestand aus einem einzigen Raum, der sich ungleichmäßig in den Schatten zu verlieren schien, als ob die spinnwebenverhangene Decke und der teppichbedeckte Boden immer näher zusammenrückten, je weiter man in die Innereien des Gebäudes vordrang. Der Mann hinter der Theke war so eigenartig gebaut wie sein Laden. Erst als er hinter der Theke hervortrat, um sie zu begrüßen, konnte Arkady sich seine ungewöhnlichen Proportionen erklären: Er war ein Zwerg und hatte auf einem Stapel aus einem halben Dutzend Teppichen gestanden. Je tiefer man in den Laden hineinging, um so höher waren die Teppiche gestapelt, bis sie an der Rückwand zu brusthohen Stapeln aufgeschichtet waren, die den Geruch von Mottenkugeln und längst toten Schafen ausdünsteten.
    Aber die Teppiche, wie beeindruckend sie auch sein mochten, stellten sich als Nebensortiment heraus. Als sie im Hinterzimmer saßen, etwas schäbiger als das vorausgehende, und den gleichen Tee und die gleichen in Honig getränkten Kuchen hinuntergewürgt, den gleichen halbherzigen Smalltalk hinter sich gebracht hatten, schlurfte der Zwerg in einem
Paar verschlissener und verblasster Schlafzimmerpantoffeln zu den Teppichstapeln hinüber und zog eigenartige, flache kleine Kästchen aus Winkeln, von denen Arkady nichts geahnt hatte. Und aus den Kästchen holte er mit unendlicher Vorsicht seine Miniaturen hervor.
    »Ja, ja«, sagte Korchow zu dem ersten Miniaturgemälde, das ihm der Zwerg zeigte, einer kunstvollen Darstellung des Propheten – zumindest vermutete Arkady, dass es der Prophet war; sein Gesicht war ganz von einem flatternden Seidenschleier verdeckt –, der auf einer ausgesprochen verführerisch wirkenden Sphinx in den Himmel ritt. Zwei weitere Miniaturen, ebenfalls mit religiösen Themen, folgten noch, und Korchow zeigte wenig mehr Interesse daran als an der ersten.
    Der Händler räusperte sich. »Vielleicht sind Sie mehr an, äh, säkularen Themen interessiert?«
    »Oh, ganz gewiss«, sagte Korchow mit einem Lächeln, das Arkady nicht zu deuten imstande war.
    Der Mann schlurfte nach hinten, seine Pantoffeln schabten über den Flor der Teppiche, und er brachte eine kleine Mappe mit losen Miniaturmalereien.
    »Oh, meine Güte«, murmelte Korchow, als er die erste betrachtete.
    Arkady sah hin, blinzelte und schaute wieder weg.
    »Armer Arkady. Ein großer Mann sagte einmal, dass die Politik wie eine Wurst ist: ein Konsumprodukt, das man am besten genießt, ohne sich allzu viele Gedanken über den Herstellungsprozess zu machen. Man könnte dasselbe über die menschliche Fortpflanzung im Allgemeinen sagen.«
    »Nicht nach Ihrem Geschmack?«, fragte der Händler in einem bedacht neutralen Ton.
    »Jedenfalls nicht nach dem Geschmack meines jungen Freundes. Ich nehme an, er würde etwas … äh … Kultivierteres vorziehen.«
    Der Zwerg sah zwischen Korchow und Arkady hin und her, aber sein Gesicht gab nichts preis. Er holte eine zweite
Mappe unter der ersten hervor, als habe er sie die ganze Zeit bereitgehalten, und schlug sie auf.
    Sie enthielt nur eine einzige Miniatur, und es war zweifellos ein Bild von enormem Wert. Arkady sah es auf den ersten Blick, noch bevor er begriff, was auf dem Bild dargestellt war.
    »Von dem Meister aus Täbris«, sagte er Händler. »Sind Sie mit der Geschichte vertraut? Angeblich stellt es den Schah mit seinem Geliebten dar, in der Nacht, bevor er ermordet wurde.«
    Korchow sah Arkady von der Seite an. »Gefällt es dir?«
    Die Miniatur stellte zwei junge Männer von außergewöhnlicher körperlicher Schönheit dar. Sie glichen einander so sehr wie Konstrukte aus derselben Brutstation, auch wenn Arkady nicht sagen konnte, ob sie sich wirklich so ähnlich sahen oder ob es an der Darstellung des Künstlers lag. Sie waren so vollständig in Seide gehüllt, von ihren fleckenlosen weißen Turbanen bis zu ihren gemusterten Roben und den spitzen, filigranen, vergoldeten Pantoffeln, dass die Gestalt, die sie gemeinsam bildeten, keine Ähnlichkeit mit den warmen, atmenden, lebenden Körpern unter der Hülle hatte. Ihr ganzes Leben steckte in den Augen, die der längst tote Künstler mit den feinsten Zobelbüscheln dargestellt hatte. Und

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