Lichtjagd
gefiltertes Sternenlicht eindringen zu lassen. Zu anderen Zeiten mussten sie mit feuchten sterilen Tüchern bedeckt und in völliger Ruhe und Dunkelheit gehalten werden, damit sie nicht erschraken und ihre Köpfe so drehten, dass ihre messerscharfen Zähne mitten im Spinnen die wertvollen Fäden durchtrennten.
Aber im Moment waren die Orbseidenraupen mehr als erschrocken.
Sie verhungerten. Sie wurden von einer obskuren Raupenspezies mit einem unersättlichen Appetit auf Maulbeerblätter aus ihrer eigenen, sorgfältig eingerichteten ökologischen Nische verdrängt.
Bella tat ihr Bestes, um zu helfen. Sie brachte Arkady unzählige Proben von allem, was auch nur im Entferntesten nach Lebensstadien dieses Schädlings aussah. Sie lernte sogar, mit einem Exkursions-Set, das Arkady für sie erübrigen konnte, Proben zu sammeln und zu konservieren. Leider verrieten die Proben Arkady zwar eine Menge über die mysteriöse Raupe, aber nicht viel darüber, wie man sie vernichten konnte.
Was schließlich eine Lösung anbahnte, war ein winziger Erinnerungskeim, ausgelöst durch den Anblick von Bellas Wurfhaken, die im rötlichen Schimmer von Novalis’ Sonnenuntergang glitzerten … ein Erinnerungskeim, der zum zarten, grünen Schössling einer Idee aufschoss.
»Hör dir das an«, berichtete Arkady Bella in aufgeregtem Ton, als er endlich den vor langer Zeit gelesenen und fast vergessenen Abschnitt aufgespürt hatte. »Das Zitat stammt
aus Wheelers Ameisen , das Buch, das im Zwanzigsten Jahrhundert einen Boom großer Studien über soziale Insekten angeregt hat. Ich muss es gelesen haben, als ich acht war. Ich kann kaum glauben, dass es mir immer noch irgendwo durch den Kopf geschwirrt ist:
Laut Magowan [schrieb Wheeler] , zitiert von McCook: »In vielen Teilen der Provinz Kanton, wo einem chinesischen Autor zufolge Getreide nicht profitabel angebaut werden kann, wird das Land für die Anpflanzung von Orangenbäumen genutzt, die unter einem verheerenden Raupenbefall leiden und daher auf eine bemerkenswerte Weise geschützt werden müssen, nämlich durch den Import von Ameisen von den Nachbarhügeln zur Vernichtung der gefürchteten Parasiten. In den Orangerien kommen zwar auch Ameisen vor, die sich von den Orangenschädlingen ernähren, aber nicht in ausreichender Zahl; daher muss man auf die Hügelbewohner zurückgreifen, die während des Sommers und Winters laufend Nester finden, die von Bambuszweigen und verschiedenen Bäumen herunterhängen. Es gibt zwei Ameisenarten, rote und gelbe, deren Nester wie Baumwollbeutel aussehen. Die Fütterer der Orangenameise werden mit Schweine- oder Ziegenblasen ausgestattet, die innen mit Schmalz als Köder eingerieben sind. Die Öffnungen werden an die Eingänge der Nester gehalten, woraufhin die Ameisen in die Beutel kriechen und sich in den Orangerien als gefragtes Handelsgut anbieten lassen. Man kolonisiert die Orangenbäume, indem man die Ameisen in den oberen Zweigen ablegt und es den Ameisen erlaubt, sich über Bambusstangen, die alle Bäume des Obstgartens miteinander verbinden, von einem Baum zum nächsten zu bewegen.
»Na gut«, sagte Arkady. »Das steht also laut McCook und Wheeler bei Magowan. Wheeler fügt den Anmerkungen über
die roten und gelben Ameisen in Kanton dann noch etwas hinzu, was einer der ersten schriftlichen Berichte über den Import von Ameisen zur Schädlingsbekämpfung aufs amerikanische Festland sein dürfte. Das ist es, was mir eigentlich im Gedächtnis haften geblieben ist. Das und die Bambusstangen zwischen den Bäumen, damit die Ameisen von einem zum anderen marschieren können. Auch wenn mir gerade einfällt, dass ich noch eine Ahnung habe, was wir anstelle der Bambusstangen verwenden könnten …«
Er blickte erwartungsvoll auf, musste aber feststellen, dass Bella ihn recht ratlos ansah.
»Verstehst du denn nicht?«, sagte er. »Wir haben von Novalis eine den Orangenbaumraupen analoge Spezies in unsere Orbseidengärten eingeschleppt. Jetzt müssen wir nur noch Novalis’ Entsprechung zu Magowans roten und gelben Ameisen finden. Oder besser: Wir müssen die ökologische Nische finden, in die sie gehören … und zum Himmel beten, dass wir dort etwas finden, das wir einsetzen können.«
Arkady musste jeden Baum im Umkreis des Basislagers schütteln, den er während eines Morgenspaziergangs erreichen konnte. Aber mit Bellas erstaunlich fähiger Unterstützung gelang es ihm. Und schließlich stieß er auf eine Goldader: eine winzige goldgefärbte
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