Lichtjagd
Arkady herunter. Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, und das Licht im Wald erinnerte an das Leuchten unter Wasser, aber unter der Einwirkung des Sonnenlichts wich die Tiefseedunkelheit allmählich dem frühmorgendlichen Glühen einer flachen Brandung.
Arkady hatte eine Dacetine-Ameise gefunden, eine der schönen Ameisen, und sie war auf der Jagd.
Sie hatte einen Springschwanz entdeckt, der auf dem nassen Rand eines herabgefallenen Blattes äste. Arkady beobachtete, wie sie sich an ihre Beute heranpirschte, wobei sie ihre feingliedrigen Beine mit der anmutigen Präzision einer geborenen Jägerin hob und beugte. Er wusste, was geschehen würde, aber sooft er solche Szenen auch schon beobachtet hatte, bewahrte die Jagd doch ihren jenseitigen Zauber.
Während sie sich dem Springschwanz näherte, würden die Bewegungen der Dacetine mit jedem Schritt langsamer und bedächtiger werden, bis sie ihm so nahe war, dass er buchstäblich zwischen den rasiermesserscharfen Zacken ihrer weit gespreizten Kiefer äste. Sie würde die feinen Haare zwischen ihren Kiefern, die so zart waren, dass man sie nur unter einem Mikroskop erkennen konnte, über den Brustpanzer des Springschwanzes streichen lassen, der sie gar nicht bemerkte. Und dann, zwanzigmal schneller als ein Augenblinzeln, würden die Kiefer mit solcher Kraft zuschnappen,
dass sie den armen Springschwanz in zwei Hälften zerteilten.
Arkady schauderte und fragte sich, wie es war, wenn das Letzte, was man in seinem Leben spürte, das leichte Kitzeln dieser feinen Kieferhaare an der Kehle war. In einer plötzlichen, verstörenden Vision stellte er sich die Erkundungsmannschaft als eine Gruppe von Springschwänzen vor, die ahnungslos die verblüffende biologische Vielfalt von Novalis bemaßen, kartierten und sammelten, während sich die rasiermesserscharfen Kiefer um sie schlossen.
Und doch … und doch gab es nichts Konkretes, kein reales Problem, auf das er hinweisen konnte, um sein Unbehagen zu rechtfertigen. Die anfänglichen Streitigkeiten in der Mannschaft waren abgeflaut, unterdrückt von dem wahnsinnigen Tempo, mit dem sie seit der Landung zu Werke gingen. Inzwischen machte die Erkundung so spektakuläre Fortschritte, dass es ihn bisher weitgehend für die mehr persönlichen Enttäuschungen entschädigt hatte.
Am Ende der ersten Woche Feldarbeit hatte Arkady fünf große Nestkomplexe dokumentiert. Dutzende massige, mannshohe, überirdische Nester, die von der europäischen Roten Waldameise gebaut worden waren, in militärischer Formation über die Waldlichtungen verteilt, die Südflanke genauso abgeschrägt, dass sie ein Maximum der winterlichen Sonneneinstrahlung einfing. Ein gewaltiger unterirdischer Komplex von Blattschneiderameisen, von denen er annahm – was sich später bestätigte –, dass man sie dem gemäßigten Klima des Hauptkontinents künstlich angepasst hatte. Und im warmen offenen Weideland die exotischen Pyramiden der Cataglyphis, Herodots legendären Goldgräberameisen, die Oberfläche übersät mit sorgfältig verteilten, glitzernden grauen Schiefersplittern.
Aber seine spektakulärsten Entdeckungen hatte er alle unter den tiefen grünen Schatten des Waldes gemacht, den er bald als den Großen Wald bezeichnete. Es war kein gewöhnlicher
Wald, sondern ein gemäßigter Regenwald, und er beherbergte eine nach den gewohnten Maßstäben von Terraform-Welten unvorstellbare Vielfalt an Ameisenarten. Einige der Spezies kannte Arkady aus den Genarchiven des RostowSyndikats, er hätte allerdings nie damit gerechnet, sie in freier Wildbahn anzutreffen. Andere waren so selten, dass er zum Schiff zurücklaufen und seine Nachschlagewerke konsultieren musste, um sie zu identifizieren.
Er fand die legendären hängenden Gärten der Crematogaster longispina , einige davon mit vergessenen Bromeliaden-Spezies, von denen Arkady angenommen hatte, dass sie mit dem Untergang des irdischen Amazonasbeckens ausgestorben waren. Er fand eine Vielfalt von Ameisenvögeln und -schmetterlingen, die den monströsen Schwarm- und Kolonnenformationen der Wanderameisen folgten, auch wenn er die Wanderameisen selbst bisher noch nicht aufspüren konnte. Er fand Ponerinen und Dacetines in ihrer ganzen erstaunlichen Vielfalt. Und was aus einer ökologischen Perspektive am interessantesten war: Er fand eine Anzahl von Blattschneiderameisen, Atta sexdens wie auch Atta cephalotes , deren gewaltige unterirdische Gewölbekolonien bis zu 150 Millionen Arbeiterinnen umfassen konnten,
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