Lichtjagd
Becherglas hervor und stellte es vorsichtig auf die Arbeitsplatte. »Ich musste den Aurelias meine Tugendhaftigkeit opfern, um das hier zu bekommen«, erklärte er, »daher wirst du’s hoffentlich zu schätzen wissen. «
»Was ist das denn?«
»Man sollte besser nicht fragen.« Arkasha holte zwei kleinere Bechergläser aus dem Autoklaven, goss mit geübter Leichtigkeit jeweils einen Doppelten der klaren Flüssigkeit ein und reichte Arkady eines der beiden Gläser. »Schmeckt wie Käferdung, wirkt aber.«
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, Arkasha.«
»Dann schütte es ganz schnell runter. Du wirst staunen, wie schnell deine Zweifel verfliegen.«
Arkady probierte einen Schluck und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass die Flüssigkeit mehr oder weniger
wie Wodka schmeckte. »Ich werde doch nicht blind davon, oder?«
»Nur wenn du gleichzeitig an dir rumspielst, während du es trinkst.«
Arkady verschluckte sich, spuckte einen Mundvoll auf den Boden und setzte sich keuchend auf seinen Laborstuhl, während Arkasha ihm auf den Rücken klopfte.
Als Arkady wieder mehr oder weniger zu Atem gekommen war, setzte Arkasha sich auf die Arbeitsplatte, schlug Arme und Beine übereinander und sah auf ihn hinunter, wobei er ganz wie eine dieser glatten, scharfsichtigen Krähen aussah, die die Ackerlandbezirke von Gilead heimsuchten. »Also«, begann er, als ob er zu einer gewichtigen philosophischen Debatte anhob. »Sag mir, warum du dich unter allen Dingen in der Welt, mit denen sich dein Gehirn beschäftigen könnte, ausgerechnet den Ameisen zugewandt hast.«
Wieso Ameisen? Wo sollte er anfangen?
Schon die bloßen Namen waren für ihn Schönheiten. Pogonomyrex barbatus zum Beispiel, die Rote Ernteameise, deren Name ihm immer die früheste bekannte Beschreibung der Spezies ins Gedächtnis rief, nämlich in einem antiken aztekischen Kodex: »Sie fegt, häuft Sand auf, baut breite Straßen, baut sich ein Haus.« Oder die schönen Dacetinen; oder die primitiven, einsiedlerischen Ponerinen; oder die vielen Arten der fleißigen Blattschneiderameisen.
Die Namen und Überlieferungen der Ameisen erinnerten Arkady an das codierte Flackern der Navigationsbojen. Sie markierten einen unsicheren Kurs durch die Galaxis – immer am Rande der Auslöschung, immer ein paar Schritte dem Tode voraus, von dem es keine Rückkehr gab –, zeichneten den heiklen evolutionären Pfad nach, der die gesamte posthumane Menschheit, die UN und die Syndikate gleichermaßen, mit der Erde verband.
Man betrachte zum Beispiel die Ameisen auf Novalis. Anfänglich ein dürftiger, hoffnungslos schmaler Strom importierter
Arten, hatten sie den ganzen Planeten überschwemmt, jede ökologische Nische ausgefüllt, die er bisher untersucht hatte. Erntearbeiter, Erdumwälzer, Furiere, Schwarmräuber … und mehrere Ameisenvarianten, die Arkady in keiner seiner umfangreichen Studien untergekommen waren und in denen er deshalb ganz neue Spezies vermutete, die sich an die eigentümlichen Bedürfnisse des Lebens auf Novalis angepasst hatten.
»Und was ist mit dir?«, fragte er, verlegen darüber, dass er so ausführlich geantwortet hatte. »Warum Genetik?«
»Das ist weniger interessant. Ich war immer der Beste in meiner Klasse, und die Besten werden mehr oder weniger automatisch in die Genetik gedrängt.«
Arkady machte wohl ein ungläubiges Gesicht, weil ihm der Gedanke absurd erschien, dass sich Arkasha in irgendetwas hineindrängen ließ.
»Und ich nehme an, ich mochte das Fach auch aus persönlichen Gründen.«
Arkady wartete.
»Die Genetik hat etwas Poetisches«, sagte Arkasha schließlich. Er wirkte defensiv, als fürchtete er, Arkady könnte den Gedanken lächerlich finden. »Ich meine, schau dir eine Person an. Irgendeine. Dich. Die Aurelias. Betrachte dir diesen ganzen erstaunlichen Planeten, auf dem wir hocken. Und dann stell dir mal vor, was die Erde gewesen sein muss mit ihren unzähligen Arten, die sich in Koevolution in einer evolutionären Landschaft entwickelten, die sie selbst in jedem Moment veränderten. Hast du Lotka gelesen? Nicht die Teile, die in der politischen Philosophie zitiert werden, sondern die wissenschaftlichen Werke. Am Ende der Principles of Mathematical Biology schreibt er über die Evolution der Planeten, der großen Weltmaschine, wie er es nennt. Ich wollte wissen, was die große Weltmaschine antreibt.«
»Und hast du es herausgefunden?«
»Ich entblöße dir meine Seele, und dir fällt nichts Besseres
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