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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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würden. Jetzt sah er zu, wie die beiden sich gegenseitig einzuschätzen versuchten, und fragte sich, ob diese beiden besonderen Gegensätze sich anziehen oder abstoßen würden.
    Li, die seit drei Jahren nicht mehr bei den Friedenstruppen war, sah in Zivilsachen immer noch so unbeholfen aus, dass selbst der oberflächlichste Betrachter sie für eine Soldatin außer Dienst halten musste. Didi dagegen hatte beim einzigen Mal, als Cohen ihn in Uniform sah, wie ein derangierter Hochstapler ausgesehen. Ein oft diskutiertes Geheimnis der legendären Karriere des Mossad-Chefs war, wie ein Mann, der zu zerbrechlich schien, um ein Blatt Papier aufzuheben, seinen obligatorischen Militärdienst lang genug durchgestanden hatte, dass man auf seine außerordentlichen Talente aufmerksam geworden war.
    Im Moment befand sich Didi unübersehbar in seinem Bestatter-Modus. Wenn Cohen es nicht besser gewusst hätte,
wäre er auf den Gedanken gekommen, dass sie sich gerade mit dem Hausmeister unterhielten. Cohen fragte sich, ob der Mann es aus einem bestimmten Grund darauf anlegte, dass Li ihn unterschätze, oder war es nur die gewohnheitsmäßige Tarnung eines alten Spions, der vor langer Zeit gelernt hatte, dass man neuen Gesichtern nicht trauen sollte?
    Li hatte sich derweil ganz in die Rolle der dumpfen Soldatin hineingefunden. Sie hatte nicht ein Funkeln von Humor in ihren dunklen Augen, keinen ironischen Unterton in der Stimme. Nichts in ihrem Gesicht, ihrem Auftreten, der Stimme oder ihren Worten deutete darauf hin, dass sie in ihrem Leben je einen intelligenten Gedanken gehabt hatte.
    Er hätte damit rechnen müssen, dachte Cohen säuerlich. Er hatte sich jahrelang auf dieses Treffen gefreut. Und jetzt trafen sie endlich aufeinander und versuchten sich gegenseitig mit solcher Kunstfertigkeit für dumm zu verkaufen, dass Cohen sich allmählich wie das einzige vernunftbegabte Wesen im Raum fühlte.
    »Ihr beiden«, platzte es schließlich aus ihm heraus, »seid absolut unmöglich.«
    »Was?«, sagten Didi und Li fast gleichzeitig in einem Ton verletzter Unschuld.
    Dann aber lachte Li, die offenbar Cohens schmählichen Kommentar zu den schlechten Manieren aller Spione und Soldaten im Ruhestand verstanden hatte.
    »Na gut«, sagte Didi. »Da wir uns ja jetzt alle amüsieren, wie wär’s, wenn wir uns Catherines Spinvideoaufzeichnungen von der Abulafia-Straße ansehen?«
    Sie sahen sich Lis Aufzeichnungen auf Didis völlig veraltetem Schreibtischmonitor an und mussten sich dafür Schulter an Schulter über das kleine Display beugen. Es war entnervend, die ganze Sitzung noch einmal aus Lis Perspektive zu erleben; zu sehen, mit welcher Gründlichkeit sie die Leute in Augenschein genommen hatte; wie ihr Blick ständig zwischen zwischen der Tür und dem Fenster, dem Boden und
der Decke hin und her gesprungen war; ihre fast unterbewusste Aufmerksamkeit für winzige Veränderungen im Informationsfluss zwischen den Wänden, die Schwierigkeiten bedeuten konnten; die ständige, ruhelose, animalische Aufmerksamkeit eines Körpers, der genug Kampfabwürfe überlebt hatte, um zu wissen, dass einen jederzeit und aus jeder Richtung ein unglücklicher Zufall umbringen konnte.
    Und es war ganz offensichtlich, welcher unglückliche Zufall sie in jenem Hotelzimmer in höchste Alarmbereitschaft versetzt hatte. Zunächst und vor allem Turner. Das bedurfte keiner Erklärung; nur ein Idiot, und ein lebensmüder Idiot dazu, würde sich mit den Amerikanern anlegen. Aber der Grund für ihre Besorgnis war weniger offensichtlich. Im Nachhinein war es Cohen regelrecht peinlich, dass er es in Echtzeit nicht begriffen hatte. Während er Korchow finster angesehen und seine Antiquitätensammlung begutachtet hatte, war Li ihrem Job nachgegangen. Und soweit es sie betraf, hatte der Job in erster Linie darin bestanden, Scheich Yassin im Auge zu behalten. Oder, um genauer zu sein, einen der harten jungen Männer, die Yassin begleiteten.
    Li hatte die beiden Gorillas ignoriert, offensichtlich nur gedungene Schläger, und ihre ganze Wachsamkeit auf den schlanken jungen Mann mit jenen blassgrünen Augen konzentriert, die immer noch gelegentlich im palästinensischen Genpool auftauchten und, ein ganzes Jahrtausend nach dem letzten Kreuzzug, immer noch die Augen eines Kreuzfahrers waren.
    Der Junge stand in der lässigen Haltung eines Athleten da. Sein Körper war ruhig und entspannt; jeder verräterische Tick war ihm mit derselben eisernen Disziplin ausgestrieben worden,

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