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Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Titel: Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Merkel
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mich wieder, wie sie im Türrahmen des Badezimmers steht, das Handtuch zu einem Turban zusammengebunden. Sie hat sich die Haare gewaschen. Sie steht, die nassen Haare unter dem Handtuch, auf der Schwelle zum Badezimmer und schaut mich an. Unter der Erde, mehrere Meter unter der Oberfläche von New York, meine startbereite Maschine vor Augen, fällt es mir ein. Wendet sie sich ab? Will sie mit dem, was geschieht, nichts mehr zu tun haben? Der A-Train fährt viel langsamer als der L-Train. Auch kommt es mir so vor, als würde er an den einzelnen Stationen länger halten. Eine bizarr verrenkte Wüstenbewohnerin steht vor der Fahrstuhltür, als könnte sie sich hinter ihr öffnen, aber sie öffnet sich nicht. In Nevada, kurz hinter der Grenze zu Kalifornien, wo das organisierte Glücksspiel verboten ist. »Tja«, sage ich. Die Fahrstuhltür führt direkt zu der Wohnung im Glockenbachviertel. Eine dunkle Wohnung ohne Licht, die ich seitdem nicht mehr betreten und für die ich immer noch keinen Nachmieter gefunden habe. Die Wüstenbewohnerinnen lecken sich die Finger ab, nachdem sie einander untersucht haben. Ich erinnere mich an eine Szene, als sich eine ihren Finger ablecken lässt, nachdem sie ihn im Geschlecht einer Dritten vergraben hat, als würde sie dort nach einer Lösung suchen. Eine Lösung für ein Problem? Aber welches? Was passiert in Primm? Passiert etwas in Primm? Die Frauen in dem Pornofilm haben so viel Sex, dass sie es selbst gar nicht schaffen, ihre Lust abzuarbeiten. Ihre Lust türmt sich vor ihnen auf wie ein Berg Arbeit im Büro. Immerzu lecken sie sich. Sie lecken auch sich selbst, jedenfalls leckt eine Wüstenfrau, die zwei anderen Frauen zuschaut, sich selbst. Sie leckt sich, jedenfalls so weit es anatomisch möglich ist. Der Berg aus Lust türmt sich vor uns auf. Das Hotel geht noch über zehn Stockwerke höher. Mir fällt das Glockenbachviertel ein und unsere Gästewohnung. Zwei Wohnungen, die leer stehen und die aus unterschiedlichen Gründen meine Beziehung mit Judith verändert haben. Die Kamera geht jetzt noch näher ran. Eine Wüstenbewohnerin reißt ihren Mund auf. Als wollte sie schreien. Das Gebäude über uns, schwarz, hochgeschossen in die Nacht, im Bruchteil von Sekunden. Eine aufgeblähte amerikanische Idylle. Ich schaue den Film allein weiter. Irgendwann, als Judith schon schläft, gelingt es mir, die Bettdecke, die sie um sich herumgewickelt hat, von ihrem Körper zu lösen, sodass ich mich auch zudecken kann. Ich höre ihre gleichmäßigen und ruhigen Atemzüge. Meine Erstarrung wird auf einmal so überwältigend, dass ich die Fernbedienung auf den Boden werfe und den Film in dem Gefühl, dass ich damit vielleicht ein Vermögen ausgebe, einfach weiterlaufen lasse. Er läuft die ganze Nacht, ohne dass ich nur ein einziges Mal hinschaue.

5
    Für den nächsten Tag ist die Rückfahrt geplant. Wir verlassen das Hotel, fahren mit dem Wagen zu einem in der Nähe gelegenen Supermarkt und kaufen Getränke und Obst. Frühstück gibt es in dem Hotel nicht. Wir kommen auch gar nicht auf die Idee, danach zu fragen. Es ist kein Ort, an dem man sich stärkt. Es ist ein Ort der Verausgabung und Verschwendung. Nur die Frauen in dem Porno sind nicht erschöpft. Sie machen einfach weiter. Sie stellen keine Fragen, zum Beispiel: Ob sie einander berühren können. Die Vorstellung, eine Frau in dem Film würde eine andere Frau, die mit rotglühendem gespreizten Geschlechtsteil vor ihr liegt, fragen, ob sie sie »anfassen« dürfe, erscheint geradezu lachhaft. »Ist dir das recht? Macht es dir etwas aus?« Wir kaufen in dem Supermarkt ein paar Äpfel und zwei Flaschen Gatorade. Es ist das Frühstück, an das Judith und ich uns gewöhnt haben, wenn wir auf Reisen sind. Die Frauen, die Wüstenbewohnerinnen, fragen nicht, sie handeln einfach. Sie berühren sich. Judith und ich haben dagegen verlernt, wie wir aus unserer symbiotischen Verträumtheit zu einem Moment kommen, in dem eine solche Frage vielleicht angebracht oder notwendig wäre, so lächerlich sie auch erscheinen mag. Ich werfe die Fernbedienung auf den Boden. Warum stellt sie sich nicht einfach vor den Fernseher und verbaut mir die Sicht? Sie geht ins Bad und hält den Kopf unter Wasser, um sich in aller Unschuld die Haare zu waschen. Mitten in der Nacht. Ein paar Kilometer weiter biegen wir von der Straße ab. Die Straßen haben wunderschöne, poetische Namen. Ganz in der Nähe gibt es die Morning Star Mine Road. Wir bleiben kurz stehen,

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