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Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Titel: Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Merkel
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finden. Ich suche die gesamte Umgebung ab, kehre zum Wagen zurück und überquere die Straße, um auf der anderen Seite weiterzusuchen. Hier ist der Bewuchs der Büsche dichter, sie sind höher, einige von ihnen reichen mir bis zur Schulter. Hinter einem besonders großen Busch bleibe ich stehen, bücke mich und schaue auf einen weiter entfernt liegenden Gegenstand, von dem ich glaube, er könnte vielleicht das verletzte Tier sein. Regungslos, auf die Seite gefallen, die Beine halb in der Luft, die Vorderbeine abgeknickt oder weggebrochen, liegt es da. Es ist bis hierhin geflohen und dann verendet. Ich zögere. Muss ich noch mehr Schuld auf mich laden? Ich habe das Tier überfahren, in meiner Besessenheit, Nipton zu erreichen und gegen den Willen von Judith noch eine weitere Nacht hier draußen zu verbringen. Noch eine Nacht. Eine dritte oder vierte. Eine, an die ich mich erinnern kann. Wir brauchen noch eine Nacht, um glücklich zu sein. Das Nipton mit seinen rauchfarbenen Rattanstühlen vor den blau eingefassten Fenstern und den eingefärbten Dekorationssteinen im Vorgarten. »Where the past is present«, heißt es auf der Internetseite des Hotels, das so klein und abgelegen ist, dass das Vorhandensein einer Internetseite gar nicht zu ihm passt. Judith hilft mir nicht, ich muss das Tier allein finden. Ich habe es ja auch getötet. Nicht erst in New York, auf dem Weg zum Flughafen, erkenne ich, was für ein hochkomplizierter Schuldmechanismus meine Beziehung zu Judith bestimmt und wie ich ständig Schuldgefühle produziere. Ein Mechanismus, der auf Reisen, wenn Judith und ich ununterbrochen zusammen sind, nicht funktioniert. Das Tier will von uns erlöst werden. Es läuft in unseren Wagen hinein. Ein selbstzerstörerischer Akt. In meinem eigenen Wagen habe ich immer ein Paar Latexhandschuhe dabei. Sie würden es mir leichter machen, den Kadaver bis zum Straßenrand zu ziehen und im Scheinwerferlicht zum Vorschein zu bringen. Aber im Wagen von Judiths Tante sind natürlich keine Handschuhe. »Tut mir leid. Mein Gott, es tut mir so leid«, flüstere ich vor mich hin. »Du armes Tier!« Ich richte mich auf. Vielleicht lebt das Tier noch. Ich muss einen Weg finden, es von seinen Schmerzen zu erlösen. Ich mache einen Schritt vor. Der Boden wird härter und steiniger. »Was ist?«, ruft Judith. Wenn ich das Tier finde, ihr den Kadaver zeige, sie damit konfrontiere, fahren wir vielleicht doch zum Hotel. Ich würde ihn mit bloßen Händen greifen und dann schnell zum Wagen ziehen. Vielleicht könnte ich auch noch ein Seil holen, irgendetwas, an dem ich ihn befestigen kann. Wie Lambert sagt: »Sie behandeln mich so, als wäre ich gar nicht krank, aber dabei bin ich es doch. Sie haben immer alles im Griff, und ich bin hier der Idiot. Ich werde auch in hundert Jahren nicht gesund sein, ich werde hundert Jahre brauchen, aber mein Vater wird immer noch da sein. Ich werde ihn nie loswerden.« Nicht reagieren, ihn nur anschauen, ihm die Chance geben, sein Gesicht zu wahren, ohne dass er in seinen Beleidigungen zu weit geht. Ihn fixieren, nicht mit der Wimper zucken, früher oder später schaut er zur Seite und beruhigt sich wieder. Ich gehe näher heran. Wie kann dieses Wesen beide Vorderbeine verlieren, nur weil es mit einem kleinen Sportwagen zusammenstößt, dann aber auch noch weiterlaufen? Das ist unmöglich. Ich denke, dass Judith auch leidet, dass sie auch Tränen vergießt. »Natürlich liebe ich sie«, sage ich zu Mads Christiansen, als er mich beim Mittagessen in der Nähe des Rockefeller Centers fragt, warum ich Judith in der Öffentlichkeit eigentlich nie berühre. Sie ist müde, das ist schließlich der Grund. Sie hat keine Lust, hier im Dunkeln herumzulaufen und nach einem Tier zu suchen, dem wir »sowieso nicht helfen« können. »Wir können ja doch nichts tun«, sagt sie mit tränenerstickter Stimme, als wir darüber diskutieren, ob wir weiterfahren oder noch länger suchen sollen. Aber es sind Tränen der Erschöpfung. Das Tier ist ihr egal. »Wir sind ja nicht allein auf der Welt. Wir teilen uns doch die Natur«, doziert sie auf der Fahrt, später, als wir noch einmal darauf zu sprechen kommen. »Das Tier ist selber schuld. Du musst aufhören, dir Vorwürfe zu machen. Solche Dinge geschehen, so etwas passiert.« Sie ist zu einer erstaunlichen Gefühlskälte fähig, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlt. Warum macht sie das Licht aus, plötzlich mitten in der Wüste? Während ein unschuldiges Tier in seinem

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