Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)
essen etwas und genießen den Anblick der Wüste. Wir amüsieren uns über das Hotel, die Geschmacklosigkeit der Einrichtung und wundern uns darüber, dass wir beim Spielen so gut wie kein Geld verloren haben. »Eigentlich schade«, sagt Judith und lächelt mich an. Ihr Gesicht, übergroß, das Lächeln, wie es mir jetzt, man kann es nicht anders sagen, durch den Kopf schießt. Wie lange liegt das zurück? Die Geschichte in der Gästewohnung. Ein Jahr oder zwei Jahre? In Primm ist ihr Lächeln verhalten und vorsichtig. Wir haben die Fenster heruntergekurbelt und nähern uns den Kelso Dünen. Der Wind fährt in einem kurzen schnellen Hin und Her über die Landschaft und glättet sie. Ich sehe ihr Gesicht am Rande des morgendlichen Himmels. Es dehnt sich, steigt auf. Immerzu lächelt sie. Eine halbe Stunde später auf der Morning Star Mine Road, nur wenige Kilometer von Primm entfernt. Es ist eine gestohlene Nacht oder eine verlorene, je nachdem wie man es sieht. Endet unsere Beziehung in geschlossenen Räumen, in Schlafzimmern, Wohnräumen und Kellern? Draußen im Tageslicht sieht alles so aus, als wäre über Nacht jemand gekommen und hätte alles wieder in Ordnung gebracht, während wir im Hotel denken, wir hätten alles verspielt. »Die haben sich ja die Seele aus dem Leib gefickt«, sagt Judith in dem kleinen Supermarkt am Rand von Primm, wo wir unser Frühstück einkaufen. Sie schaut auf die Flasche mit dem roten Gatorade, die ich in der Hand halte. »Sollen wir nicht mal was anderes ausprobieren?«
Das Licht, die Geräusche, alles ist unverändert. Wir haben nichts gewonnen, aber auch nichts verloren. Es ist noch zu früh, um ein neues Quartier zu suchen. Aber beim Spaziergang in den Kelso Dünen muss ich die ganze Zeit daran denken, dass das Zimmer im Hotel Nipton später vielleicht weg ist. »Findest du es denn nicht schön?«, frage ich, als wir am Ende einer kleinen Nebenstraße das Hotel entdecken, in das ich mich sofort verliebe. Ich würde die Nacht dort gerne verbringen, aber Judith möchte weiterfahren. Nipton liegt direkt neben Primm. Es ist eine Ansammlung von Wohnwagen und Holzhütten, nur ein paar Meter neben der Eisenbahnlinie. Eine Landschaft aus Staub, in der das Hotel das einzige richtige Gebäude ist. Es ist ein Ort, an dem man Buße tut, während man gleichzeitig die Beschränkung und die Ereignislosigkeit genießt. »Doch, es gefällt mir«, sagt sie, während wir schon weitergefahren sind. »Du kannst ja später nochmal anrufen.« Als würde es eine Telefonzelle geben, als stünden die hier überall herum. Es ist wie eine Grundierung, ein Hintergrundrauschen, die eigentümliche, matte Stimmung, in die wir hineingeraten sind. Der Sand der Kelso Dünen rutscht unter unseren Füßen wie heiße Lava nach unten. Unsere Fußstapfen hinterlassen keine Spuren, unsere Füße sinken ein, die Sandkörner gruppieren sich um, verteilen sich, weichen jedem Widerstand aus. Judith ist erschöpft. Der Anstieg kostet viel Kraft. Immer wieder greift sie nach ihrem Inhalator, saugt etwas von diesem künstlichen, chemischen Odem in sich hinein. »Umarme sie doch«, denke ich noch, als wir den höchsten Punkt erreicht haben, aber ich bin zu erschöpft. Wir laufen über ein langes, flaches Stück zur Straße zurück, wo unser Auto steht. Die blaue Karosserie des Camaro flimmert in der Hitze, und der Wagen scheint, während wir miteinander sprechen, immer kleiner zu werden und sich immer mehr zu entfernen. Es ist offensichtlich, dass Judith den Zeitpunkt genau abgewartet hat. Hinter uns sind die Dünen, und vor uns ist die Straße. Wir sind allein, niemand kann uns zuhören. Es ist typisch für ihre Beharrlichkeit, dass sie selten von einem einmal gefassten Vorsatz abweicht. Bei einem Sturz mit dem Fahrrad hätte sie sich einmal beinahe ihr linkes Bein gebrochen, aber sie fährt schon am nächsten Tag weiter. Ich sehe noch immer die Schwellung an ihrem Unterschenkel, eine tannenzapfengroße Beule, die über Monate nicht mehr zurückgeht und eigentlich nie ganz verschwindet. »Ich dachte, dass wir schon die ganze Zeit darüber sprechen sollten«, sagt sie. Sie bekommt kaum Luft, aber sie weicht von ihrem Vorhaben nicht ab. Ich sage nichts. Die Dünen sind ein ungünstiger Ort. Es ist ein Ort, den sie sich ausgesucht hat, während ich mich lieber im Hotel unterhalten würde. »Aber ich liebe dich genauso wie du mich«, sage ich zu ihr, kurz bevor wir den Wagen erreichen, erschöpft von der Wanderung. »Manchmal
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