Lichtjahre
darauf an, was du mit gut meinst. Es gibt eine Menge schrecklicher Stücke, die die Leute für gut halten. Mein Gott, es ist eine absolute Schande. Jedes Jahr veröffentlichen sie Stücke von Leuten wie John Whiting, Bullins, Leonard Melfi - Stücke, die sich kein Mensch angesehen hat, die von der Kritik einstimmig verrissen wurden, es ist kriminell, sie zwischen Buchdeckel zu packen, aber sie tun's, und mit der Zeit sprechen die Leute von ihnen als Meisterwerken, modernen Klassikern. Als nächstes wird man sie an der Universität von Montana oder sonstwo aufführen oder fürs Fernsehen adaptieren.« Er redete zu seinem Teller. Er sah nur selten jemanden direkt an.
»John, du sagst immer dasselbe«, sagte seine Frau.
»Halt du dich da raus«, sagte er.
»Die Stücke, die du magst, sieht sich auch keiner an«, sagte sie.
»Die Leute haben sich ja wohl Marat' Sade angesehen, oder etwa nicht?«
»Das hast du aber nicht gemocht.«
»Ich hab es vielleicht nicht gemocht, aber mißfallen hat es mir auch nicht.« Er trank etwas Wein. Seine Oberlippe war feucht.
Ob er von Richard Brom gehört habe, fragte Nedra.
»Brom?«
»Was halten Sie von ihm?« sagte sie.
»Also, ich hab nicht viel gegen ihn einzuwenden. Ich hab ihn noch nicht gesehen.«
»Ich finde, er ist der erstaunlichste Schauspieler unserer Zeit.«
»Sie haben Glück gehabt. Meistens geht man zu seinen Vorstellungen und landet in irgendeiner Straße mit Trödelläden und Reinigungen, die alle geschlossen sind. Wir sind alle am Unsichtbaren interessiert, aber er treibt es ein bißchen weit.«
»Er glaubt an ein engagiertes Publikum.«
»Unbedingt, unbedingt«, rief Veroet aus. »Er hat das alte Publikum satt, und ich bin es leid, dazuzugehören. Aber es gibt nichts dergleichen wie ein unsichtbares Theater, das widerspricht der Idee an sich. Am Ende muß es hinaus ans Licht. Wenn es das nicht tut, ist es kein Theater, dann ist es etwas anderes, dann ist es einfach nur zitiertes Leben.«
»Wer ist dieser Mann?« fragte Peter.
Nedra begann, ihn zu beschreiben. Sie erzählte von seinen Auftritten, seiner Körperkraft, der unerschöpflichen Energie. Veroet war zur Seite gesackt und auf dem Fenstersitz eingeschlafen. »Das macht er immer«, erklärte seine Frau.
»John, wach auf, hör dir das an«, rief Peter. »Kein Wunder, daß du im Theater nie was Interessantes findest. Wach auf, John! Nedra, mach dir nichts draus, er ist hoffnungslos, erzähl weiter...«
Die Veroets fuhren sie nach Hause. Es war nach elf. Was hielten sie davon, fragte sie.
»Von Peter?«
»Ja.«
»Vielleicht lebt er noch einen Monat«, sagte Veroet. »Vielleicht lebt er noch fünf Jahre. Ich weiß von einer Frau in Sag Harbor, die hat das schon, solange ich denken kann - nicht so schlimm natürlich. Es hängt davon ab, ob es ein lebenswichtiges Organ befällt. Heute abend hat er sich sehr wohl gefühlt. «
»Er war großartig.«
»Es war wie in alten Zeiten«, sagte Veroet.
Peter Daro ging nie zum Meer hinunter. Er starb im Novem ber. Bei seiner Beerdigung lag ein von Schminke gefärbtes Gesicht im Sarg, wie das einer unverwüstlichen alten Frau oder eines Clowns.
FÜNF
1
Wo ist es hin, dachte sie, wo ist es geblieben? Durch das, was in ihm verlorenging, wurde ihr plötzlich die lange Strecke eines Lebens bewußt. Sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern – sie führte kein Tagebuch -, was sie am Tag ihres ersten gemeinsamen Mittagessens zu Jivan gesagt hatte. Sie erinnerte sich nur an das Sonnenlicht, das sie verliebt stimmte, die Gewißheit, die sie in sich spürte, die Leere des Restaurants,.während sie sich unterhielten. Der Rest war verwittert, er existierte nicht mehr. Dinge, die für sie unvergänglich gewesen waren - Bilder, Gerüche, die Art, wie er seine Kleider anzog, einfache Dinge, die sie damals überwältigt hatten -, alles verblaßte jetzt, wurde unecht. Sie schrieb selten Briefe, sie hob fast keine auf.
»Man glaubt, es ist da, aber das ist es nicht. Man erinnert sich nicht einmal an Gefühle«, sagte sie zu Eve. »Versuch, dich an Neil zu erinnern und was du für ihn empfunden hast.«
»Es ist jetzt schwer vorstellbar, aber ich war verrückt nach ihm.«
»Ja, du kannst es sagen, aber fühlen kannst du es nicht. Erinnerst du dich überhaupt noch, wie er ausgesehen hat?«
»Nur von Fotos.«
»Das Merkwürdige ist, nach einer Weile traust du nicht mal denen.«
»Alles ist so anders geworden.«
»Ich hab einfach immer angenommen, daß die wichtigen
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