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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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geöffnet, die Kühle der englischen Nacht trat in das Zimmer.
    »Ich arbeite gerne im Garten«, sagte Alba. »Ich gehe jeden Tag raus. Wenn nicht, bin ich nicht wirklich glücklich. Ich bin erträglich, aber nicht glücklich. Manchmal verreisen wir. Wir sind nach Chester gefahren, erinnerst du dich?« fragte er Ciaire. »Ab und zu verreisen, dagegen hab ich nichts.«
    »Wenn es nicht zu weit ist. «
    »Ich sehe mir übrigens gerne Botanische Gärten an. Ab und zu eine kleine Ruine. Wenn es nicht zu voll ist. Die Sache ist die, ich kann nicht Auto fahren. Ciaire fährt immer, und wir lassen uns gerne Zeit. Wir fahren vielleicht fünfzig Meilen am Tag.«
    »An einem Tag! « sagte Nedra.
    »Mehr nicht.«
    »Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
    »Na ja, wir halten gerne öfter mal«, erklärte er.
    Claire schenkte Kaffee ein.
    »Wie ist euer Leben in Amerika?« fragte Alba. »Was macht ihr so?«
    »Nun, ich hab meine Familie«, sagte Nedra.
    »Außer der Familie.«
    »Na ja, ich bilde mich.«
    »Seltsam.«
    »Was?«
    »Amerikanische Frauen scheinen sich immer weiterzubilden.«
    Nedra protestierte nicht. Sie mochte Alba, seine Offenheit, sein ausgeblichenes Haar.
    »Übrigens reden wir oft über Amerika. Wir lesen sogar eure Zeitungen«, sagte er. »Ich bin mehr oder weniger besessen von der Idee eures Landes, das schließlich für die ganze Welt von so großer Bedeutung gewesen ist. Ich finde es sehr beunruhigend, mitanzusehen, was da im Moment passiert. Es ist, als würde die Sonne erlöschen.«
    »Sie glauben, Amerika geht unter?« fragte Viri.
    »Liebling, könnten wir etwas Cognac in unseren Kaffee haben?« sagte Alba. »Haben wir welchen?«
    Er bot ihnen aus der Flasche an, die sie mitbrachte. »Ich glaub nicht, daß Nationen wirklich untergehen können«, sagte er. »Ein Land, das so groß ist wie Amerika, mit einer so langen Geschichte, kann nicht einfach verschwinden, aber es kann sich verdunkeln. Und scheinbar geht es in diese Richtung. Ich meine, diese vollkommen blinden Leidenschaften - die fehlende Zurückhaltung -, diese Dinge sind wie ein Fieber. Sogar mehr als das. Vielleicht sind wir über etwas beunruhigt, was uns vorher einfach nur nicht aufgefallen ist, etwas, das immer schon dagewesen ist, aber das glaube ich nicht. Kennen Sie die Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs? Ich meine nicht den militärischen Aspekt.« »Wir sind selber sehr beunruhigt«, sagte Viri. »Jeder bei uns.«
    »Wir sind so abhängig von euch, das ist das Problem. Wir sind jetzt ganz klein. Für uns ist die Sache vorbei.«
    »Das glaub ich nicht.«
    »Natürlich haben wir unsere Erinnerungen.«
    Nach dem Essen saßen sie beisammen und redeten weiter. Alba und seine Frau saßen nebeneinander. Ihr Arm lag auf der Rückenlehne des Sofas, ein langer, zarter Arm, wohlgeformt, weiß wie Knochen. Ihre Gesichter waren ebenfalls weiß, glichen sich, traten aus der Dichte von schattigen Büchern, Vorhängen, nächtlichen Fenstern hervor. Ihr Leben war ruhig und wohlge-ordnet; es gab keine Leidenschaft darin, zumindest nicht an der Oberfläche, aber eine große Gutmütigkeit, fast Trägheit, wie bei Raubtieren, die sich ausruhen.
    »Wir haben unsere kleinen Witze«, sagte Alba, »nicht wahr, Claire?«
    »Hin und wieder.«
    Sie waren Mann und Frau. Sie schienen in diesem Moment wie eine unübertreffliche Fotografie, die Birnbäume unsichtbar im Dunkel des Gartens, der feuchte Kies der Auffahrt, die Probleme mit ihrer erwachsenen Tochter, alles war in der Schwebe gehalten, zur Ruhe gekommen in der heiteren Würde dieses Paars.
    Viri war wie benommen von diesem Bild, ein Bild, mit dem er selber so oft andere beeindruckt hatte, eheliche Gemeinschaft in ihrer reinsten, großzügigsten Form. Er war plötzlich verletzbar, hilflos. Es schien, als wüßte er nichts, als hätte er alles vergessen. Er versuchte, die Schattenseiten ihrer Zufriedenheit zu entdecken, aber die Oberfläche blendete ihn. Claires Hände, an denen sie keine Ringe trug, die schmale Nacktheit ihrer Finger, verwirrten ihn, die Form ihrer Wangen, ihre Knie. Er erschrak tief, es war der Moment des Schreckens, den man niemandem gestehen kann, der Moment, wenn einem klar wird, daß das eigene Leben ein Nichts ist.
    Nedra sah es auch, aber für sie bedeutete es etwas anderes: der Beweis, daß Leben Egoismus verlangte, daß man sich zurückziehen mußte und daß selbst in einem fremden Land eine völlig unbekannte Frau ihr dies so unmißverständlich zeigen konnte, denn die

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