Lichtjahreweit
wollten partout nicht sterben. Als ich nach sechs Jahren auszog, waren alle noch am Leben und quietschfidel. Zu den Lieblingsbeschäftigungen der Tanten gehörte es, am Fenster oder auf dem Balkon zu lauern und den kostbaren Rasen zu überwachen – immerhin gab es einige Kinder in den Häusern, und hin und wieder verirrte sich eins auf das gemähte, gepflegte Grün, nur um sofort von den wachsamen alten Weibern angekeift und verscheucht zu werden. Die Tanten waren der festen Überzeugung, daß kleine Kinder der gefährlichste Feind ihres Rasens waren. Den Kindern erklärten sie, sie sollten sich gefälligst auf dem nächsten Spielplatz austoben (wo, nebenbei bemerkt, andere alte Damen ihre übergewichtigen Dackel spazierenführten und in den Sandkasten scheißen ließen.) Ich habe mich oft gefragt, was die Kinder wohl gedacht haben. Ich glaube nicht, daß sie verstehen konnten, warum der Rasen verbotenes Gebiet war. Immerhin habe ich selbst es nicht verstanden – sieht man davon ab, daß ich die auf den Balkonen lauernden Tanten für krank hielt … Irgendwann las ich dann einen Artikel über die rückläufigen Geburtenziffern in der BRD und die daraus resultierenden volkswirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Jahren nach 2000. Und wieder einige Zeit später fügten sich die Tanten, der Rasen, die Kinder und der Artikel zu einer Geschichte namens »Methusalem« zusammen …
In der Nacht hatten Unbekannte einen Elektrischen Maulwurf auf die Computerleitspur des Kölner Citytax-Netzes angesetzt, und gegen Morgen, als es dem Technischen Dienst endlich gelang, den Maulwurf aufzuspüren und mit einem gezielten elektromagnetischen Schockimpuls auszuschalten, waren vier Verteilerrelais zerstört und große Teile der Südstadt ohne City-Anschluß.
Das sind die Nachrichten, die einem den Morgenkaffee versüßen, dachte Philip Jaumann verdrossen und schaltete über die Fernbedienung das Radio aus.
»Juniacs«, sagte Katrin. Mit zusammengekniffenen Augen bohrte sie ihr Messer in das ofenfrische Brötchen. »Ich gehe jede Wette ein, daß die Juniacs dahinterstecken. Genau wie in Berlin. Halbwüchsige Terroristen, die jeden umbringen, der älter als fünfzig ist.« Sie nickte bekräftigend und teilte das Brötchen mit chirurgischer Präzision. Es sah wie eine Hinrichtung aus.
Jaumann schauderte. Daran werde ich mich nie gewöhnen, durchfuhr es ihn. Nicht an diese allmorgendliche Hinrichtung des Backwerks. Zum Teufel, das kann kein Zufall sein. Es muß etwas zu bedeuten haben. Vielleicht ist Katrin krank. Unheilbar geisteskrank wie diese Junior-Aktivisten, für die jeder Rentner, jeder, der auch nur irgendwie alt aussieht, Freiwild ist …
»Warte nur ab«, fuhr Katrin düster fort. »Das mit dem Maulwurf ist erst der Anfang. Es ist wie in Berlin. In Berlin hat es auch mit Maulwurf-Anschlägen auf die Leitspuren der Automatentaxis begonnen, und später haben sie dann ein Krebsprogramm in den Zentralcomputer geschleust. Sechzehnjährige Hacker, die eine ganze Stadt lahmgelegt haben. Und all die Toten! Gott, bin ich froh, daß wir keine Kinder haben. Stell dir vor, wir hätten eine derartige Bestie in unserem Haus großgezogen. Man weiß doch, was die Berliner Senioren mit den Eltern der Juniacs gemacht haben.«
Jaumann rührte in seinem Kaffee. »Unsinn«, sagte er. »Köln ist nicht Berlin. Es wird hier keine Wiederholung des Berliner Blutsonntags geben. Und noch liegen keine Beweise dafür vor, daß die Täter zu den Junior-Aktivisten gehören. Vielleicht waren es Technophobe; irgendwelche gemeingefährlichen Naturfreaks, die sich nicht mehr mit der Demontage von Taschenrechnern oder mikroprozessorgesteuerten Schmusetieren zufriedengeben wollten. Zum Teufel, in dieser Stadt wimmelt es doch von gelangweilten Irren, die nur auf eine Gelegenheit warten, ihre massenmörderischen Pläne in die Tat umzusetzen.«
Er nippte am Kaffee und verbrühte sich die Zunge. Mit einer gemurmelten Verwünschung sah er zur Kaffeemaschine hinüber. »Manchmal verstehe ich diese Technophoben«, knurrte er. »Manchmal verstehe ich sie wirklich. Diese verdammte Maschine. Immer ist der Kaffee zu heiß.«
»Es waren die Juniacs«, beharrte Katrin. Das Messer blitzte im Licht der Küchenlampe, als sie mit einer schwungvollen Bewegung ein Stück Butter aufspießte. »Die Südstadt ist ein Seniorenviertel. Dort wohnen nur Rentner und Pensionäre. Ganze Straßenzüge voller Greise. Und jeder weiß, daß die Cittax hauptsächlich von den Senioren
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