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Lichtjahreweit

Lichtjahreweit

Titel: Lichtjahreweit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Sekunde hob das Kind den Kopf und schien direkt zu ihm hinaufzuschauen. Das Gesicht war ein kleiner weißer, ovaler Fleck im grauen Vormittagslicht. Fast schuldbewußt wich Jaumann zurück. Dann drehte sich das Kind um und ging langsam über den Kiesweg zurück zum Haus. Eine Tür schlug. Der Hof war wieder leer. Die Krähen nickten in grimmiger Befriedigung. Die Fenster schlossen sich. Die Lichtgardinen leuchteten auf.
    »Ja«, sagte Katrin, »es wird ein Juniac. In zehn oder fünfzehn Jahren wird aus diesem Kind ein verdammter Junior-Aktivist, und dann sind wir die Alten. Es wird uns hassen. Es wird sich an uns erinnern. Wahrscheinlich notiert es schon jetzt die Namen der Hausbewohner, um sich später zu rächen, und unsere Namen werden an erster Stelle stehen. Ich fühle es. Ich weiß es. Das Kind macht mir Angst, Philip.«
    Jaumann starrte sie an. »Angst?« wiederholte er. »Aber es ist noch ein Kind. Nur ein Kind.«
    Katrin wandte sich ab. »Es wird älter werden. Genau wie wir.«
    »Das Kind tut mir leid«, sagte Jaumann leise.
    Katrin lachte. Ihr Lachen blitzte wie das Frühstücksmesser. »Du bist eben sentimental, Philipp. Hoffnungslos sentimental.«
     
    Am Nachmittag liebten sie sich. Der Regen prasselte gegen das Fenster, und Donner stieg polternd vom Himmel herab, und bei jedem Donnerschlag drang Jaumann tief in Katrin ein. Naturgewaltig, dachte er, schwitzend und keuchend, und er rieb sich an ihrer Haut, und ihre Haut war glatt und ihre Brüste waren straff, und er dachte: Sie ist noch so jung. Sie ist erst fünfundvierzig. Er sah sie an, während er sich über ihr hob und senkte, und wie immer, wenn sie miteinander schliefen, hatte sie die Augen geschlossen und ihr Gesicht war verzerrt, wie im Schmerz. Er hielt inne.
    »Was ist?« fragte Katrin. »Was hast du? Was ist los?« Aber sie hielt die Augen geschlossen.
    »Ich dachte gerade«, sagte er, »ich habe mich gerade gefragt, wie es sein wird, wenn wir sechzig sind. Oder siebzig … Ich meine, werden wir es dann immer noch tun? Die Senioren«, sagte er, »tun sie es? Wie wir? Schlafen sie miteinander wie wir?«
    Katrin blinzelte. »Was soll das? Was ist los mit dir? Was redest du da?«
    Es war lächerlich. Er wußte, daß es lächerlich war, jetzt, in diesem Augenblick, eine derartige Frage zu stellen, doch gleichzeitig spürte er, daß diese Frage wichtig war. »Wie ist der Sex im Alter? Greisensex. Wie wird das sein? Was fühlen wir, wenn wir uns lieben und wenn unsere Haut faltig ist? Wenn deine Brüste« – er stütze sich auf die Ellbogen, umfaßte mit den Händen die Wölbung ihrer Brüste – »wenn deine Brüste schlaff sind. Wenn sie alt sind. Runzlig.«
    »Großer Gott!« Sie starrte ihn an, ungläubig, schockiert, und dann stieß sie ihn fort, rollte sich auf die Seite und zog die Decke über ihre Brüste, zog sie hoch bis zum Hals. »Großer Gott! Du mußt den Verstand verloren haben!«
    »Wir könnten neunzig werden«, sagte er. Die Worte kamen von ganz allein. Er sprach wie unter einem inneren Zwang. Es war absurd. »Oder hundert. Viele Leute werden heute schon hundert Jahre alt, Verdammt, über die Hälfte der Bevölkerung besteht aus Rentnern. Die Menschen werden immer älter und älter, es gibt immer und immer mehr alte Menschen. Mit ein wenig Glück haben wir noch sechzig oder achtzig Jahre vor uns. Achtzig Jahre! Zum Teufel, das sind fast … das sind fast dreißigtausend Nächte! Was werden wir in diesen Nächten tun? Und was tun die anderen in all den Nächten? Was treiben diese alten Hexen und diese Greise vom Haus gegenüber in den Nächten?«
    »Du mußt den Verstand verloren haben!« Katrin sah ihn noch immer mit diesem ungläubigen, schockierten Gesichtsausdruck an.
    »Ich habe gehört, daß die Lust nicht nachläßt«, sagte Jaumann. »Bei den Frauen. Sie läßt bei den Frauen nicht nach. Selbst im hohen Alter nicht. Bei uns Männern ist es anders. Organisch, verstehst du? Organisch. Altersimpotenz! Prostata! Kreislauf! Blutgefäße!« Er sprach jetzt laut. Zu laut.
    Warum ereifere ich mich so? fragte er sich. Was rede ich da? Was ist los mit mir? Was? »Aber die Frauen. Was ist mit den Frauen, mit all den Millionen und aber Millionen alten Frauen? Sie müssen doch irgend etwas tun. Sie hören doch nicht auf, wenn sie sechzig sind. Oder? Hören sie auf? Hören sie einfach auf? Oder nehmen sie sich junge Männer? Gibt es Bordelle für all diese Millionen alten Frauen mit ihrer alten Haut und ihren alten Brüsten; Bordelle,

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