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Lichtjahreweit

Lichtjahreweit

Titel: Lichtjahreweit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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wo Männer auf diese alten Frauen warten? Junge Männer? Juniacs? Ist das der Grund für den Haß der Jungen auf die Alten? Fühlen sie sich mißbraucht? Ist es das? Ist es das?«
    Katrin sprang auf. Sie war blaß. Sie griff nach ihrem Morgenrock und zog ihn hastig an. »Das genügt, Philipp«, sagte sie. »Es genügt. Gott! Du bist krank. Das ist es. Du bist krank. Wir schlafen miteinander, und du denkst an diese schmutzigen Dinge.«
    Das Fieber wich. Er war verwirrt. »Schmutzig? Wieso schmutzig? Was ist daran schmutzig? Ich verstehe das nicht. Was hast du?«
    »Du bist pervers«, sagte Katrin. Sie nickte. Sie wurde rot. »Pervers. Mein Mann ist ein gottverdammter Perverser.«
    Es donnerte, und mit dem Donnerschlag fiel die Schlafzimmertür ins Schloß. Jaumann lag da, auf dem Bett, das noch warm war von Katrins Körper, und er fragte sich, was er falsch gemacht hatte.
    Angst, sagte er sich. Sie hat Angst. Vor dem Alter. Vor dem Altwerden, den Falten und Runzeln. Deshalb will sie nichts davon hören. Sie hat schreckliche Angst, aber sie kann der Wahrheit nicht entfliehen. Wenn sie aus dem Fenster sieht, wenn sie auf die Straße geht – Spiegelbilder. Wir alle sehen unsere Spiegelbilder auf den Straßen. Mit unseren Augen reisen wir in unsere persönliche Zukunft. Mit den Augen sehen wir all diese alten Menschen, diese furchtbaren Spiegelbilder unserer Zukunft: Greise, die uns so grausam an das erinnern, was aus uns werden wird.
    Er dachte an das Kind.
    Er fröstelte.
     
    In den Abendnachrichten wurden Unruhen in der Südstadt und Rentnerdemonstrationen an den Rheinterrassen gemeldet. Die Panther und die Seniorenpartei riefen für den nächsten Tag zu einem Schweigemarsch zu den Familiensiedlungen am Stadtrand auf, und der Kölner Polizeipräsident warnte im Bürgerkanal des kommunalen Fernsehens vor einer Eskalation des Konflikts. Noch immer gab es keine Beweise dafür, daß Juniacs für den Anschlag auf das Cittax-Netz verantwortlich waren, aber angeblich wurden alle Kölner unter Dreißig von den Fahndungscomputern überprüft. Gerüchte. Die ganze Stadt war eine einzige Gerüchteküche.
    »Vielleicht waren es in Wirklichkeit die Panther«, sagte Jaumann. »Radikale Rentner, die die Spannungen anheizen wollen. In Berlin hat man nach dem Blutsonntag eine Bannmeile um die Seniorenviertel gelegt. Man hat den Jugendlichen das Betreten ganzer Stadtteile verboten. Vielleicht wollen die Panther das auch in Köln erreichen. Das ist doch denkbar, oder?«
    Er sah Katrin an.
    Seine Frau lag im Körperformsessel des Wohnzimmers, hielt in der einen Hand ein Glas mit grünem Pfefferminzlikör und kraulte mit der anderen das Elektrische Schmusetier: Katzenfell und Rehaugen. Das Schmusetier schnurrte. Jaumann schaltete die TV-Wand aus. Der Nachrichtensprecher verschwand in einer schwarzen Implosion.
    Katrin drehte den Kopf.
    »Du redest wie ein verdammter Junior-Aktivist«, beschuldigte sie ihn. »Auf welcher Seite stehst du eigentlich? Schau dich doch an! Du bist fünfundvierzig! Dir fallen die Haare aus, du bekommst Falten, einen Bauch. Du wirst alt. Wenn dich diese halbwüchsigen Terroristen allein auf der Straße erwischen, bringen sie dich um. Und du verteidigst sie noch!«
    Jaumann schwieg. Sein Blick wanderte zum Fenster. Die Lichtgardine war ein diffuser Schleier, und durch den Schleier glitzerten die Laternen der Stadt, und oben am dunklen Himmel glühte rot wie Kohlenfeuer ein Hologramm des Kölner Doms.
    Katrin horchte. »Was ist das?«
    Von der Straße kam Lärm. Wildes Geschrei. Heisere Stimmen wie krächzende Krähen. Jaumann fuhr zusammen.
    »Großer Gott!« flüsterte Katrin. »Es wird doch nichts passiert sein. Die Juniacs werden doch nicht …«
    Jaumann war mit vier großen Schritten beim Wohnzimmerfenster. Er drehte am Regulator der Lichtgardine. Sie erlosch. Er äugte hinunter auf die Straße. Im gedämpften Schein der Straßenlaternen warfen die Bäume drohende Schatten. Die Fenster der gegenüberliegenden Häuser waren geöffnet. Graue Köpfe zeichneten sich wie Scherenschnitte gegen die hellen Rechtecke ab. Haustüren standen weit offen, aus ihnen drängten sich lärmende, gestikulierende Gestalten. Die Straße war voller alter Menschen. Stöcke wurden geschwenkt, knochige Fäuste geschüttelt. Die Schreie verrieten Haß – und Furcht.
    Hysterie, dachte Jaumann.
    »Was ist?« stieß Katrin hervor. Sie klammerte sich an seinen Arm und starrte auf die wogende, haßerfüllte Menge. »Was ist los,

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