Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
Zeit, in der bei Elín die Hoffnung keimte, sie könnte eine Ader getroffen haben.
„Wer ist Vinkona?“ Oder auch nicht.
„Vinkona ist meine Gaedinga, meine beste Freundin, ein windfarbenes Islandpferd, wie Nicht-Isländer sagen würden.“
„Das sind die kleinen, oder?“
Sah sie dort ein Schmunzeln auf seinem Gesicht?
„Ja, sind sie. Dafür aber äußerst flink und robust!“
„Mhm. Tragen wird sie dich jetzt trotzdem nicht mehr.“
„Hä? Wieso?“ Darüber hatte Elín noch gar nicht nachgedacht.
„Weil du erstens ein Raubtier bist, was sie wittern wird, und zweitens zu schwer.“
„Wie bitte? Zu schwer? Hallo?! An mir ist jawohl kein Gramm fett zu viel!“
Elín stemmte ihre Hände in die Hüften. Er gönnte ihr einen musternden Blick, woraufhin sich seine Gesichtsmuskeln kurz verhärteten. „Eine Akkadia wiegt mehr, als ihr Körperbau vermuten lässt.“
Sie ließ die Hände sinken. „So von wegen zweite Seele und so?“
„Ja. Theoretisch müsstest du mehr wiegen als ich, weil deine Bestie wahrscheinlich größer als meine eigene ist“, sagte er ganz beiläufig.
„Nein! Echt? Cool!“, grinste sie. „Das heißt, ich könnte dich im Kampf besiegen?“
Jetzt schnaufte er lächelnd. „Es kommt beim Kämpfen nicht nur auf Körpermasse an, Ma Khashi!“
Sie sah auf. „Ma Khashi? Was heißt das?“
Sein Grinsen verschwand. „Nichts.“
Elín seufzte genervt. „Wieso laufen wir eigentlich wieder zurück?“
„Weil ich dich vorerst nicht in der Nähe von Menschen haben will, solange ich nicht weiß, wie gut oder schlecht du dein Tier kontrollieren kannst.“
„Also ich glaub kaum, dass ich mich auf irgendwen seines Blutes wegen stürzen würde.“
„Du nicht. Aber deine Seele ist nun mal nicht die einzige in diesem Körper, die etwas zu sagen hat.“
Stellte sie eine Gefahr für andere dar? „Ich … würde einem Menschen etwas antun?“, stammelte sie.
„Wenn du die Kontrolle verlierst, mit Sicherheit.“
Elín schwieg. Das musste sie verdauen. Es hieß, dass sie ihre Eltern womöglich nie wiedersehen würde. Vinkona. Den Hof.
„Aber damit genau das nicht passiert, werden wir ausreichend trainieren.“ Ju sagte es in einer Art und Weise, die genauso gut eine Drohung hätte sein können. Aber Elín wusste, dass es als Trost gedacht war, auch wenn er das selbst nicht zugeben würde.
Sie kletterten einen kleinen Hügel hinauf. Oben angekommen spürte sie plötzlich Jus Arm, der sich vor ihre Brust schob, damit sie stehenblieb. Er deutete ihr, still zu sein, und zeigte auf einen Höhleneingang, nicht weit entfernt. Elín kniff die Augen zusammen, doch sie konnte absolut gar nichts erkennen. Alles, was sie sah, war Dunkelheit und Schatten – wie immer.
Thanju pirschte sich lautlos voran, während Elín unruhig an Ort und Stelle verharrte. Nach wenigen Sekunden konnte sie auch ihn nur noch als Schemen erkennen. Zum Teufel! Das musste doch irgendwie klappen. Okay, Elín, konzentrier dich!
Sie tauchte mit ihren Augen in die Schwärze der Umgebung ein und versuchte Naham zu animieren, ihr zu helfen.
„Komm schon, meine Schöne!“, flüsterte sie.
Nach und nach wurden die Umrisse in der Ferne deutlicher. Sie erkannte, wie Ju in den klaffenden Lavawänden verschwand. Und im nächsten Moment wurde Elín mit solcher Kraft nach unten gerissen, dass ihr beim Aufschlag auf den Erdboden Luft und Besinnung wegblieben.
Sie hob die Hände abwehrend, hörte ein monströses Knurren, bevor sie das blasse Wesen über sich erblickte.
Rotglühende Augen.
Knochen, die durch pergamentartige Haut schimmerten.
Es wirkte so gewaltvoll und beängstigend wie nicht einmal Ju oder die Angreifer von vorhin ihr erschienen waren.
Das Kind in Elín zog sich schreiend die Bettdecke über den Kopf, in der Hoffnung, das Monster wäre nicht echt, wäre gar nicht da, nur eine Einbildung.
Und die Akkadia in ihr schlug ihm mit messerscharfen Krallen eine blutige Markierung auf die Brust und warf es mit den Füßen und voller Wucht nach hinten, sprang auf und brüllte ihm eine Warnung entgegen, die die Weiten Islands erzittern ließ.
Naham erwachte und Elín verlor sich in der Macht, die aus ihrem Körper strömte, versteckte sich hinter der Bestie und überließ ihr die Kontrolle. Ihre Sicht schärfte sich schmerzhaft, Fänge stachen aus ihrem Mund hervor und ihr Körper wirkte auf einmal viel größer. Sie wusste nicht, was mit ihr geschah, aber sie wusste, es würde ihr das Leben retten.
Der
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