Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
noch!, dachte sie und schmunzelte selbst.
Die Akkadia brachte ihre Windjacke in die Höhle, legte sie auf Jus Sachen und ging wieder nach draußen. Von ihm keine Spur.
„Aha!“, rief sie übertrieben laut. „Soso!“ Elín schaute sich um, achtete auf jedes Geräusch. „Versteckenspielen willst du also!“ Sie zupfte ihren Rollkragenpullover aus der Jeans, um etwas mehr Bewegungsfreiheit zu haben, und ging leicht in die Hocke, während sie sich weiter um sich selbst drehte und die Umgebung absuchte.
Zirka Fünfhundert Meter entfernt lehnte Ju mit verschränkten Armen an einem Baum und beobachtete die junge Frau, die seine starre Welt so langsam ins Wanken brachte. Naham summte zufrieden in seinem Inneren – ein Echo, dass er lange nicht vernommen hatte. Auch das Bild von ihr, das sich einst an seiner Wirbelsäule festgekrallt hatte, saß mittlerweile auf seinem Schulterblatt, bewegte sich auf seine Brust zu. Er hatte diese Veränderung vor kurzem erst bei Roven beobachtet. Je näher er seiner Gefährtin Selene gekommen war, desto weiter war Rovens Bestienzeichnung vom Oberarm Richtung Herz gewandert.
Was das genau für Ju bedeutete – darüber wollte er in diesem Moment nicht nachdenken. Untypisch für ihn, Probleme nach hinten zu schieben. Aber so langsam kam die Erkenntnis, dass Elín ihm gut tat, dass er sie mochte. Ein alter Schmerz durchzog seine Brust, ließ Naham aufjaulen und erinnerte den Akkadier daran, warum er es die letzten tausend Jahre vermieden hatte, jemanden zu mögen. Er hatte damals geglaubt, dass er diesen Verlust niemals bewältigen könnte, hatte seine neu gewonnene Unsterblichkeit verdammt. Und alles, was er bislang erreicht hatte, war, diese eine Wunde so tief zu vergraben, dass er sie nicht mehr spürte. Bis vor kurzem jedenfalls.
Doch nach all der Zeit, in der er den Schmerz mit sich herumgetragen hatte, war er kein bisschen leichter geworden. Anstatt ihn zu verarbeiten, hatte Ju alles nur aufgeschoben, hatte mit seiner Art und Weise zu leben rein gar nichts erreicht. Da musste erst eine blondes Gör auftauchen und ihm zeigen, was es wirklich hieß zu leben. Egal, was Elín tat, – ob sie kurz davorstand, sich in ein blutrünstiges Ungetüm zu verwandeln, ihn mit kindlichen Kommentaren versuchte, aus der Reserve zu locken, oder wie das unschuldigste Wesen auf Erden in seinen Armen hing – sie tat alles mit Leidenschaft. Sie weinte, sie lachte und sie brüllte mit ganzer Hingabe. Und es machte sie glücklich, in Umständen, die viele andere in den Wahnsinn getrieben hätten.
Sie war so anders als Diriri. Und womöglich war es genau das, was er brauchte. Er sollte sie nicht vergleichen – diese beiden Frauen. Diriri hatte einen Stand bei ihm eingenommen, den wohl keine andere – zumindest nicht auf diese Art und Weise – je erreichen würde.
Plötzlich dämmerte es ihm. Diriri war es sogar gelungen, ihn in seinen Träumen aufzusuchen. Natürlich! Du Narr! Und das fiel ihm erst jetzt auf? Es war ihre Bestie gewesen, der er gegenübergesessen und die ihn mit seiner Vergangenheit konfrontiert hatte. Sie war es gewesen, die … ihn von der Verwesung in seinem Inneren gelöst hatte, die ihn dazu brachte, sich Elín zu öffnen und die Schuld an Diriris Tod zu bewältigen.
Ju sah nach oben, vorbei an den grünen Wellen, und wie zur Antwort erstrahlte dort ein kleiner, goldener Stern und funkelte ihm zu. War das möglich? Konnte Diriri nach ihrem Tod solchen Einfluss auf ihn haben? Oder war es schlussendlich doch nur sein eigenes Unterbewusstsein gewesen?
Er wusste es nicht. Aber er wusste, dass er verflucht noch eins Lust dazu hatte, diesem Mädchen, das nach wie vor in Lauerstellung um den Höhleneingang herumschlich, langsam mal ein bisschen Manieren beizubringen.
Naham schüttelte sich wach und grunzte belustigt.
„Du denkst, das wird zu einfach? Wenn du dich da mal nicht täuschst“, antwortete er ihr und teleportierte sich im gleichen Moment zu Elín zurück.
Er nahm dicht hinter ihr Gestalt an und zupfte kurz an ihrem Pullover. Sie erschrak und wirbelte herum. Doch da war er schon wieder weg.
„Was zum …!“ Elín brummte verärgert und spähte angestrengt in Jus Richtung, sah ihn aber nicht. Als Akkadier besaß er die Fähigkeit, sich einem Schatten gleich fortzubewegen, quasi mit seiner Umgebung zu verschwimmen – eine Abwandlung der Teleportation. Von Menschen konnte er so nicht wahrgenommen werden, wohl aber von anderen Akkadiern. Doch Elíns Sinne mussten
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