Lichtraum: Roman (German Edition)
erkennen konnte, konnte sie aus der Vogelperspektive beobachten, wie die zerstörte Brücke einstürzte.
Der Vierarmige hatte nicht die geringste Chance gehabt, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, und so verschwand er, zusammen mit dem Fahrzeug und Rivers’ Leiche, unter einem Berg aus Schutt und Geröll.
Dakota blickte nach unten auf die Stelle, wo ihr Gewehr hätte sein sollen, und stellte fest, dass von der Waffe nur noch der Handgriff mit der Batterie und ein paar Zentimeter des zerfetzten Plastiklaufs übrig geblieben waren.
So viel zu selbst gebastelten Waffen, sinnierte sie und rappelte sich wieder hoch. Zum Glück war die Batterie nicht auch noch explodiert.
Sie blickte sich um; immer noch hörte sie, wie Leute außerhalb ihres Gesichtskreises miteinander redeten und schrien. In der Ferne jaulte bereits eine Sirene. Sie wusste nicht, ob der Vierarmige allein gekommen war oder mit Komplizen, doch für den Fall, dass er Kumpane hatte, musste sie irgendetwas finden, womit sie sich verteidigen konnte. So wirksam der Iso-Anzug auch sein mochte, er würde ihr nicht ewig Schutz bieten.
Es lag klar auf der Hand, gestand Dakota sich mit einiger Verspätung ein, dass Hugh Moss sie zuerst gefunden hatte.
Sie hielt auf die noch intakte Brücke zu und überquerte sie rennend, ohne das kaputte Gewehr loszulassen. Zwar funktionierte es nicht mehr, doch aus der Entfernung konnte man das vielleicht nicht sofort erkennen. Ein weiterer langer, von Glühkuppeln erhellter Tunnel tat sich vor ihr auf.
Und wieder steuerte eine Gestalt schnurstracks auf sie zu; Flammen zuckten um die geballten Fäuste des Mannes. Sein Kopf war glattrasiert, und auf dem nackten Oberkörper trug er einen Tornister. Selbst aus dieser Distanz registrierte sie die seltsame Beschaffenheit seine Haut; sie glich ein bisschen der gepanzerten Epidermis eines urzeitlichen Raubtiers. Der Kerl blieb stehen, legte seinen Kopf in den Nacken und wölbte seine Brust vor, als wolle er tief Luft schöpfen. Als er den Kopf wieder senkte, schoss eine riesige Flammengarbe zwischen seinen Lippen hervor. Gleichzeitig holte er mit einer flammenden Hand aus, um etwas nach ihr zu werfen.
Dakota schwenkte herum und sauste in die entgegengesetzte Richtung los; im selben Moment gab es hinter ihr eine fürchterliche Explosion, begleitet von einem gleißenden Lichtblitz. Sie hechtete über eine Seite der Brücke und sprang in dem Moment nach unten, als ein Schwall aus Gluthitze sie einhüllte. Als sie auf dem Boden landete, spürte sie nicht einmal den Aufprall.
Dann rannte sie ständig abwärts; in Ermangelung einer besseren Idee folgte sie dem Verlauf der sich allmählich absenkenden schmalen Gasse. Heftig mit Armen und Beinen pumpend, sprintete sie einfach immer weiter, ohne auf die Gesichter zu achten, die hin und wieder aus dem trüben Licht der aufeinanderfolgenden Tunnel und Durchgänge auftauchten; doch die anfängliche Neugier der Leute wich jähem Entsetzen, als sie sahen, was hinter ihr her war. Sie brauchte nicht über die Schulter zu spähen, um zu wissen, dass der brennende Mann ihr immer noch auf den Fersen war. Obwohl sie die Detonation dank des
Iso-Anzugs körperlich unbeschadet überstanden hatte, qualmte und glühte ihre Kleidung.
Die Straße bog in einem scharfen Knick nach rechts ab; sie warf sich um die Ecke und huschte in einen der ersten Türeingänge, die sie sah. Vielleicht konnte sie hier irgendwo untertauchen.
Sie befand sich an der Spitze eines steilen, schmalen Treppenschachts, sauste nach unten und gelangte in eine andere Passage mit gewölbter Decke und Brücken, welche die oberen Galerien miteinander verbanden. Auf ihrer verzweifelten Suche nach einem geeigneten Versteck schlüpfte sie durch mehrere Seiteneingänge, die sie immer weiter hinabführten.
Aus dem Inneren des Felsens drang nun ein Grummeln an ihre Ohren, das immer lauter wurde, je tiefer sie in das Labyrinth eindrang. Bald fand sie sich in einem engen Raum wieder, dessen Decke so niedrig hing, dass sie sich beinahe zusammenkrümmen musste, als sie ihn durchquerte. Dakota merkte, dass sie sich hoffnungslos verirrt hatte, und kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Mittels ihrer Implantate versuchte sie, sich in Derinkuyus Open-Access-Netzwerk einzuklinken, doch die reagierten nur mit Fehlermeldungen; vorher, als sie sich mit Rivers getroffen hatte, hatten ihre Implantate noch nicht verrücktgespielt.
Dafür konnte nur Moss verantwortlich sein. Irgendwie hatte er
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