Lichtraum: Roman (German Edition)
das wohl keiner übelnehmen. Sie könnten sich weigern, eine Herausforderung anzunehmen, ohne ihre Ehre zu verlieren.«
»Weil ich alt bin?« Breisch lächelte öfter als jeder andere Mensch, den Corso kannte. »Selbst jetzt noch fordert man mich heraus, weil jeder derjenige sein will, der mich letzten Endes doch umbringt. Und eines Tages, wenn ich alt genug bin, wird es einen geben, der mich besiegt. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als mich in ein ruhiges Dasein als Staatsdiener zurückzuziehen. Rausgehen und kämpfen ist doch viel besser, finden Sie nicht auch?«
Mittlerweile war Corso längst über die wie Ironie anmutende Tatsache hinweg, dass Breisch einstmals beide Mansell-Brüder trainiert hatte, die mit von der Partie waren, als die verhängnisvolle Expedition nach Nova Arctis aufbrach. Anfangs hatte er sich Mühe geben müssen, seine Ressentiments und seinen
Groll zu unterdrücken und zu akzeptieren, dass Breisch nicht verantwortlich war für die Verbrechen, die Kieran Mansell und sein psychopathischer Bruder Udo begangen hatten, sondern nur für das hohe Niveau ihrer Kampfkunst.
Wenig später begannen sie, auf dem unebenen Ufer vor dem Zelt ein paar grundlegende Bewegungsabläufe zu üben, während die Sterne klar und wie gestochen scharf am Abendhimmel funkelten.
Mit einer heimtückisch wirkenden Klinge stürmte der alte Mann auf Corso zu; er vollführte Scheinangriffe in verschiedene Richtungen, trat und schlug nach ihm, wenn Corso es am wenigsten vermutete. Ungeachtet des frostigen Wetters trugen beide nur dünne Bekleidung, die ihre Bewegungsfreiheit nicht behinderte.
Trotz der körperlichen Anstrengung merkte Corso, wie die Kälte tief in seine Knochen eindrang, und durch die vor Mund und Nase geschnallte Atemmaske klang sein Keuchen wie ein Todesröcheln. Er wusste, dass sich seine Geschicklichkeit als Kämpfer im Laufe der letzten paar Monate gewaltig verbessert hatte, doch er vergaß nie den ständigen Ausdruck von Verachtung, mit dem Breisch ihn während der ersten Wochen ihres Trainings angesehen hatte.
Breisch fintierte wieder. Corso sah seinen nächsten Zug voraus, sprang zur Seite und wollte mit einer stumpfen Klinge gegen den Hals seines Trainers schlagen. Doch ehe er dazu kam, reagierte Breisch mit einem Fußtritt nach hinten, der Corso zu Boden schickte.
Ächzend hievte er sich von dem gefrorenen Schotter hoch. Der Alte nahm ihn noch härter ran als üblich.
Mit zufriedenem Grinsen blickte Breisch auf ihn hinab. »Ich hatte schon befürchtet, Sie würden sich zu sehr ablenken lassen, aber trotzdem haben Sie sich besser geschlagen als erwartet.
« Er streckte eine Hand aus und half seinem Schüler beim Aufstehen.
Nach einer Weile gingen sie ins Zelt zurück. Breisch machte auf einer Kochplatte zwei Mahlzeiten mit hohem Proteingehalt warm, dann legte er sich auf seine Schlafmatte, um bis zum bevorstehenden Zweikampf zu ruhen. Corso fühlte sich viel zu aufgekratzt, um seinem Beispiel zu folgen.
Seit Dakotas Abreise würde dies sein zehntes Duell sein, und nur Breisch’s Training hatte er es zu verdanken, dass er noch am Leben war. Bis jetzt war es ihm erspart geblieben, gegen jemanden anzutreten, der ebenfalls Breisch’s intensive Ausbildung genossen hatte, und mit einem bisschen Glück würde es nie dazu kommen.
Kurz vor Beginn des Kampfes hörte Corso das Brummen sich nähernder Motoren. Er streifte sich Thermokleidung über, die ihn vor der ärgsten Kälte schützen sollte, und klemmte sich eine neue Atemmaske vor Mund und Nase, ehe er nach draußen trat.
Ungefähr einen halben Kilometer weiter landeinwärts parkte ein halbes Dutzend Helikopter auf einer ebenen Fläche, im Schatten eines Baldachinbaums, dessen wuchtiger Stamm fast zwei Meter in die Höhe strebte. Dies war ein beliebter Treffpunkt für Freistaatler, die vorhatten, sich gegenseitig abzuschlachten, um Reichtum, Macht und Frauen zu gewinnen, am besten gleich alles zusammen.
Ein Truck mit Ballonrädern rollte auf ihn zu und entlud zwei Passagiere, die in ähnliche kälteabweisende Kleidung gehüllt waren. Einer der Neuankömmlinge war Marcus Kenley, Senatssprecher, ein rundgesichtiger Mann mit einem schütteren grauen Backenbart, der an den Seiten seiner Atemmaske hervorlugte. Der andere war Lucius Hilgendorf, Chef der Staatssicherheit unter der nach dem Coup gegründeten Administration,
und bei weitem einer der gefährlichsten Männer, denen Corso je begegnet war. Über seiner Maske funkelten
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