Lichtschwester
ist, dachte sie dumpf, riecht und gibt es sich doch
verdammt wie die irdische Welt.
Sie schlug langsam die Augen auf.
Ein schmieriger Hrogi-Krieger beugte sich über sie. In der einen
Hand hielt er ein Messer und in der anderen ihr Amulett aus Zinn
und schwarzem Turmalin - das Zeichen ihres Kultes. Die Enden
der durchschnittenen Lederschnur, an der sie es um den Hals ge-
tragen hatte, kitzelten ihre entblößte Kehle.
Der Mann grunzte erstaunt, als er sah, daß sie sich bewegte, und
wandte den Kopf und sprach mit einem Kerl, der hinter ihm stand
- aber in so rauhem Tonfall, daß sie nichts davon verstand, obwohl die Sprachen der Hrogi und der Insulaner ein und dieselbe Wurzel
haben.
Jetzt trat der Häuptling in ihr Blickfeld. Das Tuch, in dem sein
verwundeter Arm ruhte, wies frische Blutflecken auf. Die
Schlacht hatte wohl auch ihn erreicht. Aber seine Haltung hatte
nichts von ihrer Spannkraft verloren. Er schwang gebieterisch sein
Schwert. Da wich der Krieger von Reila zurück.
»Noch am Leben? Das ist ja etwas ganz Neues!«
Der Häuptling sprach so klar und deutlich wie ein Gelehrter; nur
sein leichter Akzent verriet, daß die Sprache dieser Inseln nicht
seine Muttersprache war. Er starrte sie mit einer glühenden, fast
sexuellen Inbrunst an. Aber es war nicht leibliche Begierde, was
sie in seinem Blick las.
»Seit Jahren, in vielen Treffen habe ich gegen die Hrolf-Krieger,
die Söhne eurer Göttin, gekämpft ... Sie töteten so viele unserer
Besten, daß wir immer wieder voll Entsetzen zu unseren Langboo-
ten flohen. Vor einem Monat konnten wir erstmals eine ganze
Schar von ihnen erschlagen. Und weißt du, was wir dann entdeck-
ten ? «
Er sah Reila höhnisch an und stieß der neben ihr liegenden toten
Großhexe die Stiefelspitze in die Rippen, und Reila klagte laut, als
sie Maers Leichnam so mißhandelt und geschändet sah. »Oh, wir
fanden«, fuhr er ruhig fort, »in einem Zelt so viele tote Frauen, wie
wir an Kriegern erschlagen hatten. Sie lagen starr, aber ganz un-
versehrt auf dem Boden, und auf ihren Lippen war nicht die Spur
von Gift.«
Nun kniete er sich neben Reila und fragte leise: »Und warum bist
du noch am Leben ?«
Ja, sie war noch am Leben. Aber jetzt, da der Schock der Schlacht
und die Verwirrung des Erwachens schwanden, ging ihr auf, was
das bedeutete.
Und er wandte sich um, als ob er in ihren geweiteten Augen etwas
gelesen hätte, und beschrieb mit seinem Schwert einen Bogen, der
das ganze Schlachtfeld einschloß. »Seht nach, ob zwischen all den
Toten noch ein lebender Hrolf liegt. Aber tötet ihn mir nicht!«
Reila, die dank seines Timbres und seiner Aussprache den Sinn des in Hrogi erteilten Befehls erfaßt hatte, stöhnte in ihrem Herzen.
Ja, nun würde der Häuptling das Geheimnis lüften, aufgrund des-
sen ihr Volk sein kleines Tieflandreich zwei Jahrhunderte lang ge-
gen alle Invasionsversuche hatte verteidigen können.
Als sie sich mit Mühe auf die wackligen Ellbogen stützte und halb
aufrichtete, sah sie, daß zwei Hrogi von ihrer Leichenfledderei ab-
ließen und die gesamte Walstatt systematisch nach Überlebenden
abzusuchen begannen, und sah auch, daß der Krieger, der ihr das
Amulett geraubt hatte, sich ihnen sogleich anschloß.
Drei Männer. Mit ihrem Häuptling vier. Wer von den Feinden
sonst noch lebte ... lag schwer verwundet auf der blutgetränkten
Heide, machte mit seinen Schutzgöttern seinen Frieden und
würde ja bald seinen Verletzungen erliegen. Einen Sieg hatten
diese Invasoren eigentlich nicht errungen.
»Ihr habt mich mehr Männer gekostet, als ich für möglich gehal-
ten hätte«, sagte der Häuptling. »Mehr, als ich riskiert hätte, wenn
ich das geahnt hätte. Aber vielleicht hat es sich am Ende ja doch
gelohnt.«
Er erhob sich, steckte sein Schwert ein und holte aus den Falten
seines Armtuchs ein Halsband hervor, in dem Reila sofort das des
Großkriegers Fonis, des Mannes von Maer, erkannte. Und der
Hrogi-Anführer kniete sich neben Maers Leiche und legte diesen
Anhänger neben den der toten Großhexe.
»Ich finde immer ein Gegenstück«, sagte der Häuptling. »Ja, jeder
Hrolf-Talisman hat eine eigentümliche Turmalinzier, aber zu je-
dem findet sich am Hals einer eurer Hexen das exakte Pendant.«
Die Bundwächter hätten ihre Amulette nicht in der Schlacht tra-
gen dürfen, dachte Reila bitter. Aber ... wie hätten sie es über sich
bringen sollen, das Symbol ihres Bundes
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