Lichtschwester
Monden seit Mittsommer um die Schnauze vollends ergraut und wohl noch zahnloser geworden waren. »Ich hab euch Fleisch gebracht«, rief Sofyia ihnen zu und wartete darauf, daß sie sich verwandelten und ihr Geschenk annähmen. Aber sie äugten einander nur stumm an und husteten, und einige aus dem Rudel begannen zu knurren. Und Sofyias Jadghunde erhoben sich mit gesträubtem Nackenfell. »Sitz«, befahl sie leise. Sie gehorchten, aber die Wölfe kamen dennoch nicht näher.
Sofyia rang sich ein Lächeln ab und rief: »Hexe! Dank für deinen
Zauber. Ja, ich habe östlich des Flusses Morgen gelernt, mich auf
vier Beinen fortzubewegen ... Dafür sei die Mondin gepriesen!
Und sieh dir den da an!« Damit täschelte sie dem Hengst die Schulter. »Ich hab auch eine Stute mitgebracht, die wohl bald fohlen wird. In einigen Jahren haben wir genug Pferde für uns alle. Ich
sorge für sie, und in mageren Zeiten werden wir, ohne zu ermüden, mit ihnen weite Streifzüge unternehmen und jagen können, was das Herz begehrt.«
Die Hexe beäugte sie mit schmalen Lichtern und winselte kläglich.
»So sag doch was«, bat Sofyia. Keine Antwort. Sofyia fühlte ihren
Zorn wachsen. »Ich bin jetzt eine Jägerin!« rief sie und blickte der
Hexe herausfordernd in die Augen. »Ich habe mir das Recht auf
Nachwuchs verdient! So laßt mich aus eurem Menschenmund
Worte der Zustimmung hören!« Sie legte einen Pfeil auf, spannte
den Bogen. Die Sehne zitterte gegen ihre Wange, und die Spitze
ihres Pfeils zielte auf das Herz der Hexe. »Nun verwandle dich, du
verdammtes Biest«, knurrte sie.
Die Hexe warf sich auf den Rücken, wies ihr den schutzlosen
Bauch und winselte um Gnade.
Da trat Sofyias Vater vor und sprach in der Wolfszunge so langsam zu ihr, daß sie sein Gehuste und Gebell verstand: »Quäle sie nicht!
Die Mondin hat uns zur Strafe für das Vergehen der Hexe unsere Verwandlungskraft geraubt ...«, erklärte er. »Die Mondfrau läßt ihrer nicht spotten!«
»Welches Vergehen?« fragte Sofyia, noch immer zweifelnd.
»Du warst immer ein Dummerchen«, gähnte nun ihr Vater und rollte seine lange, rosarote Zunge. »Du hast dich von der Hexe ins Land östlich des Morgens schicken lassen, das es ja gar nicht gibt.«
»Aber sicher«, riet Sofyia. »Sieh doch, ich kann jetzt reiten und
mit Pfeil und Bogen jagen, und ich hab euch Fleisch mitgebracht. «
Ihr Vater hob witternd die Schnauze. »Der Hirsch riecht gut. Aber
du stinkst nach Mensch. Du bist jetzt bloß noch Mensch«, sagte er
und sah sie mit seinen gelben Lichtern traurig an. Dann wandte er
ihr das Hinterteil zu und trottete in den Wald zurück. Die Mutter
folgte ihm, ohne sich noch einmal umzublicken. Ein Rudelgefährte nach dem anderen verschwand nun zwischen den Bäumen.
Ein leichtes Schneetreiben setzte ein. Da langte Sofyia zu ihrer Stute hinüber und löste den Gurt, der den Hirsch auf ihrem Rücken hielt.
Er kam ins Rutschen und fiel schwer zu Boden.
Tränen rannen ihr die Wangen hinab - Menschentränen. Und sie zog die Zügel an und riß ihren Hengst herum, Richtung Osten, Richtung Morgen.
DAVE SMEDS
Dave Smeds ist kein Anfänger und kein Unbekannter. Er hat unter anderem drei Romane geschrieben und kehrt nun, nach »drei Jahren einer fast absoluten Schreibpause«, zu den Magischen Geschichten zurück. Da seine Frau soeben ihr Hebammendiplom gemacht und eine Stelle angetreten hat, kann er sich wieder den ganzen Tag an den PC setzen — was vermutlich bedeutet, daß er demnächst einen neuen Fantasy-Roman fertigstellen wird, den die Lektoren allerorten mit Freudenschreien begrüßen dürften. Ich hoffe jedoch, daß er auch weiterhin Kurzgeschichten schreibt und uns treu bleibt. — MZB
DAVE SMEDS
Schwertzauber
Die fremden Räuber stellten sie auf offener Heide. Da bezogen die
Insulaner auf einem uralten Dyrie-Grabhügel Position. Er war
kaum mehr als eine Unebenheit in dieser endlosen, mit Moorgräsern und wilden Blumen bedeckten Ebene, aber doch eine Erhebung. Droben am Himmel ballten sich die Wolken zu einer dunklen, drohenden Wand.
Die Bundkrieger und die anderen Kämpfer reihten sich rings um den Hügel zu einer lebenden Mauer. Reila trat zu den Bundhexen, die sich auf der Hügelspitze versammelten. Sie hatten
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