Lichtschwester
aber nicht genutzt. Und du, du hattest kaum eine Chance dazu ... hast sie aber wahrgenommen!«
Verit war freundlich und sehr aufmerksam zu Marayd und zeigte ein Interesse, das über die bloße Sorge um eine verletzte Fremde weit hinausging. Sie wollte sich mit dieser Neuen offenbar anfreunden. Und Marayd brauchte jemanden, der sich im Harem gut auskannte und ihr vielleicht - wenn sie selbst dazu nicht in der Lage war - das benötigte Material beschaffen könnte. Natürlich platzte sie mit ihrem Wunsch nicht einfach heraus. Denn jede ihrer Mitgefangenen würde sie entweder verraten oder mit ihr fliehen wollen - und sie dann doch noch verraten, sobald sie ihr die Unmöglichkeit einer gemeinsamen Flucht offenbart hätte.
Als Marayd einigermaßen genesen war, zog sie bei Verit ein und erzählte ihr immer wieder stundenlang von ihren Abenteuern und denen anderer Leute. Verit lauschte immer unbewegten Gesichts.
Aber Marayd hätte schwören können, daß sie sich nach jener Welt sehnte, die diese Geschichten schilderten. Und bei einer dieser Gelegenheiten fragte Marayd unvermittelt: »Hör mal, was würdest du machen, wenn du frei wärest?« »Alles«, erwiderte Verit seufzend.
»Und was im besonderen?«
»Ich würde alles lernen, was ich lernen kann, alle Bücher lesen, die ich auftreiben könnte, und zu jeder Vorlesung gehen. Sobald ich genug wüßte, würde ich andere unterrichten.« »Du würdest also eine Gelehrte werden?«
»Ja, aber ich würde nicht nur andere Studierte etwas lehren. Ich würde versuchen, allen Menschen Wissen und Weisheit zu bringen, vor allem denen, die sie am meisten brauchen ...«, sagte Verit und schloß nach kurzem Zögern: »Ich möchte in Würde und Ehre leben, wie ein menschliches Wesen. Nicht so wie hier!«
»Wie kommt es, daß solch ein kluger Kopf wie du an einem Ort wie diesem ...«, fragte Marayd.
»Das ist eben so passiert. Meine Mutter, die übrigens auch Verit hieß ...«, erwiderte die Kleine, und ihr Blick verschleierte sich, »... war genauso. Sie lebte in den westlichen Bergen und gehörte zu einer Gruppe von angeblich Gesetzlosen. Aber das waren wohl nur Nomaden, die niemandem wirklich etwas zuleide taten. Man hat sie alle getötet oder gefangengenommen. Sie selbst brachte man zu König Zai, der mit ihr dann mich zeugte. Sie hat ihren Kerker ... gehaßt und immer wieder zu fliehen versucht, wurde aber jedesmal gefaßt und hart bestraft. Als ich sechs Jahre alt war, hätte sie es fast geschafft, die Mauer zu übersteigen ... aber sie hatte ja mich auf dem Rücken! König Zai meinte, nun sei es genug, und ließ sie zu Tode foltern. Vor meinen Augen.« Verit brach in Tränen aus. Und Marayd umarmte und tröstete sie, dachte dabei aber unentwegt nach ... Ja, Verit war genau die Art von Komplizin, die sie brauchte.
So fragte sie, als Verits Tränen zu versiegen begannen: »Würdest du mir ... einen Gefallen tun, wenn ich dich darum bäte? Und auch Stillschweigen darüber bewahren?« »Wieso? Ja, sicher. Ich schwöre es!«
Marayd spürte in Verits Antwort kein Zögern, nicht den kleinsten Vorbehalt. Diese Kleine war ihr offenbar eine ergebene Freundin geworden.
»Ich muß ganz sicher sein können, daß du niemandem davon erzählen wirst«, sagte sie dennoch.
Verit überlegte kurz und erwiderte sodann: »Diese Sicherheit kann ich dir geben, indem ich dir mein Geheimnis anvertraue. Dann hast du mich in der Hand und könntest mich auch anzeigen! «
»Das würde ich nie ... aber sprich, wenn du dein Herz ausschütten willst.«
»Der König hat mich zweimal mißbraucht«, flüsterte da Verit.
»Und beim zweiten Mal geschwängert... Aber ich habe das Kind mit einem Stück Draht abgetrieben.« »Warum denn?«
»Wenn es eine Sie gewesen wäre, hätte sie, so wie ich, ihr ganzes Leben als Sklavin zubringen müssen und niemals erfahren, was es heißt, frei zu sein ... Sie hätte, im Gegensatz zu mir, vielleicht noch nicht einmal davon geträumt.« »Und wenn es ein Junge gewesen wäre?«
»Dann wäre er schon bei der Geburt zum Tod verurteilt gewesen.
In dieser Dynastie pflegt ein Kronprinz bei der Thronbesteigung alle seine Brüder und Halbbrüder umbringen zu lassen, damit sie ihm ja nicht die Herrschaft streitig machen können ... Aber Gambreol will Kinder haben, möglichst viele! Sogar Töchter ... um sie, wenn sie alt genug sind, zu schänden und wie normale Konkubinen zu halten. Er
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