Lichtschwester
mit Dieben verfahren!« Auf ihr Zeichen nahm einer der Wächter seine neunschwänzige Katze und begann Verit auszupeitschen. Die Arme schrie mitleiderregend. Marayd wandte den Blick von ihr ab.
Noch niemals zuvor hatte sie solche Pein und solche Wut in sich gefühlt, nein, selbst damals nicht, als Gambreol sie begrabscht und begafft hatte.
Jetzt war es an Marayd, die verletzte Freundin gesund zu pflegen. Verits Wunden waren fürchterlich. Aber Marayd wusch und verband sie mit zarter Hand.
Tags darauf war Verit wenigstens wieder zum Sprechen fähig. »Ich habe mich so bemüht, dir zu helfen, Marayd«, sagte sie, »und ...«
Marayd fuhr ihr sanft übers Haar. »Das weiß ich! Oh, ich wollte, ich hätte an deiner Statt leiden müssen. Meine arme Verit! Aber ich werde diese Furie töten!«
»Nein, Marayd! Das haben schon andere versucht. Dafür wird sie zu schwer bewacht. Außerdem . .. Marayd, ist die Tür gut geschlossen?« »Ja, warum?«
»Stell bitte einen Stuhl unter die Klinke.«
Marayd tat ihr den Gefallen. »Und jetzt?«
Da wies Verit auf den Fußboden. »Siehst du die lose Fliese da?«
Marayd kniete nieder und entfernte sie mit fliegenden Händen.
Und in der freigelegten Höhlung sah sie auf einem Fetzen Seide einen glutroten Edelstein funkeln.
»Ist das ... ?« fragte sie schwer atmend.
»Ja, das ist der Rubin aus Baytilis' Ohrring! Ich habe ihn durch einen meiner Simili ersetzt. Die Wächter ertappten mich, als ich den Ring zurücklegen wollte. Die Lady hat den Betrug noch nicht bemerkt, weil sie mehr Einbildung als Verstand hat. Aber früher oder später muß es ihr auffallen. Wir sollten also mit dem Zauber nicht länger warten.«
Jetzt hätte Marayd eigentlich ihre Flucht ins Werk setzen können.
Aber sie zögerte, denn ihre Gefühle spielten ihr einen Streich: Der Gedanke, Verit in diesem Kerker zurücklassen zu müssen, war ihr plötzlich unerträglich.
Und da ging ihr auf, daß sie den kleinen Blondschopf von Herzen liebte, mehr als sie je zuvor einen Menschen geliebt hatte, mehr sogar als ihre Blutsverwandten. In ihr hatte sie hier, wo sie nur mit Falschheit und mit Trug gerechnet hatte, eine treue Gefährtin gefunden. Verit hatte aus Freundschaft zu ihr die Schmach und die Pein einer öffentlichen Auspeitschung auf sich genommen und mehr um ihretwillen gelitten als je ein Mensch zuvor. Wie hatte sie ihr das gelohnt? Sie hatte sie belogen und getäuscht.
Hatte behauptet, sie könnte sie vor Gambreols gemeinen Gelüsten schützen. Ja, und Verit war aufgrund ihres falschen Versprechens große Risiken eingegangen und dann grausam mißhandelt worden.
Marayd machte sich die bittersten Vorwürfe. Wenn ich doch geahnt hätte, daß ich sie so in mein Herz schließen würde ... aber nein, das konnte ich nicht voraussehen. Und ich konnte nicht ahnen, wie schwer es mir fallen würde, sie hier zurückzulassen! Aber was könnte Verit nicht für ein wunderbares Leben führen, in der Welt dort draußen! Mit ihrer Klugheit und Einfühlsamkeit wäre sie für jeden in ihrer Umgebung ein Gewinn und eine Freude.
Ja, Verit könnte die Schule besuchen, die ihre einstige Lehrerin Meteris und andere führende Köpfe in Daizur vor kurzem gegründet hatten. Man nahm da auch viele junge Leute auf, die zu arm waren, um Schulgeld zu bezahlen. Das einzige, was sie mitbringen mußten, war der Wille zu lernen. Und eine bessere Schülerin als Verit... würden sie wohl nie bekommen! Mit der richtigen Ausbildung könnte sie eine Leuchte der Aufklärung werden und sogar helfen, die Lage der Frauen zu verbessern, so daß so schändliche Einrichtungen wie diese Harems für immer abgeschafft würden.
Aber sie konnte sie nicht mitnehmen. Daher würde Verit ihr Leben innerhalb dieser Basaltmauern verbringen müssen - dazu verdammt, die Welt draußen nur aus Erzählungen zu kennen, von der Freiheit nur träumen zu können, sie aber niemals kennenzulernen.
Ihr Geist würde verkümmern; vielleicht würde sie, wie die übrigen Frauen in diesem Harem, es gänzlich aufgeben, denken zu wollen.
Irgendwann würde sie erneut schwanger werden und, so wie sie nun einmal war, auch dieses Kind abtreiben. Aber dann würde sie vielleicht nicht mehr so davonkommen.
Eine Woche später stellte Marayd erfreut fest, daß Verits Wunden schon gut verheilt waren. »Ich hätte ja nicht gedacht, daß du so rasch genesen würdest!« meinte
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