Lichtschwester
um sich, wie ein Hase in der Falle, und ließ sich, da sie nun keinen anderen Ausweg sah, vor Sharik auf die Knie fallen. »Im Namen der Großen Beschützerin«, flehte sie, »bitte ich um Schutz für meinen Sohn!«
Sharik spürte ein Stechen, Kribbeln in sich hochsteigen und tief in ihrem Bewußtsein etwas wachsen . .. etwas, was Ressa kühl wog und maß. Dann überwältigte der helle Zorn sie. Und sie riß Ressa am Handgelenk auf die Beine und führte sie schnurstracks in die Küche. »Wir möchten nicht gestört werden«, rief sie den anderen noch zu und schloß die Tür fest hinter sich.
Dann gebot sie Ressa, sich zu setzen, und fragte. »Ist dir denn klar, worum du mich da eben gebeten hast?«
»Ja doch«, erwiderte Ressa, den Blick unverwandt auf das Kind auf ihrem Schoß gerichtet. Aber Sharik war nicht überzeugt. Schutz zu geben, das war eine der ältesten Traditionen des Ordens der Roten Falkin. Ja, sie reichte bis in jene Zeit zurück, in der es diesen Orden noch gar nicht gegeben hatte und die Falkinnen nur in losen Gruppen umher-geschweift waren und aus diesem oder jenem Grund in den Tempeln, die den anderen Erscheinungsformen der Großen Herrin geweiht waren, Zuflucht gesucht hatten und zum Dank dafür zu den Waffen gegriffen hatten, um die Tempel gegen Banditen und anderes Gelichter zu vertei-digen. »Du hast mich gebeten, Dreyans Beschützerin zu werden ...«, klärte sie Ressa auf.
»Nicht nur vor dem, was immer da draußen sein mag, sondern auch vor jedem hier, der versuchen sollte, deinen Jungen auszuliefern.«
Als Ressa nickte, fuhr Sharik fort: »Du scheinst jedoch nicht zu wissen, daß dieser Schutz seinen Preis hat ... die Wahrheit. Die Große Kriegerin bewahrt keinen vor dem Los, das er verdient. Ehe ich dir ihren Beistand zusagen kann, muß ich wissen, vor wem und warum du Schutz begehrst. Und glaube mir, die Kriegsherrin läßt es nicht zu, daß man ihre Dienerinnen belügt ...« Das hatten ihr wenigstens ihre Lehrerinnen in der Ordensschule versichert - sie machte das zum ersten Mal. »Erzähle mir also von Haldan«, befahl sie. »Wer ist er, und warum will er deinen Sohn?«
Ressa zögerte, völlig ihrem Sohn zugewandt, ehe sie schließlich erwiderte: »Haldan war ... er ist mein Mann und Dreyans Vater.
Und er gehört zu den Tierleuten.«
»Ein Gestaltwandler ... ?« Sharik starrte sie verblüfft an. Aber da fiel ihr ein, was Emry von diesen Wesen berichtet hatte. Es wäre also denkbar, wenn auch verdammt schwer zu glauben. Die Tierleute waren ein ganz eigenes Volk, das in den abgelegensten Wäldern und Gebirgen hauste.
Sie blieben gern unter sich, und all die übrigen Hjelmarker wußten von ihnen eigentlich nur eines gewiß ... daß es sie gab. Man raunte, daß sie manchmal auch Menschen fräßen. Aber in der Ordensschule hatte man gesagt, das seien Ammenmärchen, und in Wirklichkeit seien das hungrige Wölfe und Bären gewesen. »Wie, zur Winterhölle, kamst du nun dazu, einen von denen zu heiraten?« fragte Sharik zweifelnd. »Ich wußte ja nicht, daß er zu denen gehörte«, antwortete Ressa. »Ich war Magd im Haus des Lords von Pard's Ridge. Haldan war sein Förster.
Der neue Förster ... sein Vorgänger war von einem wilden Tier getötet worden, und Haldan bekam seine Stelle, weil er einen Wolf erlegte, der das, wie er behauptete, getan hatte. Wir haben uns dort kennengelernt ... und er hat mir den Hof gemacht.«
Ressa verstummte und legte die Hand schützend über ihr Muttermal. Da mußte Sharik daran denken, was sie selbst beim Anblick dieses wild und prachtvoll aussehenden Haldan empfunden hatte, und sie fragte sich, was es für Ressa bedeutet haben mochte, daß einer wie er ... sie auserkoren hatte.
»Wir haben dann geheiratet«, fuhr Ressa fort. »Ich war glücklich, obwohl er oft fort war, weil damals viele Schafe gerissen wurden und auch Hirten umkamen. Und Haldan kehrte dann immer mit einem erlegten Bären oder Wolf zurück, und er brachte auch Wilderer zur Strecke, aber ein, zwei Monate später fing dieses Töten immer von neuem an.
Ja, und kurz vor Dreyans Geburt hat Haldan mir schließlich alles gestanden ... daß er den alten Förster und diese Hirten getötet habe.
Seine Leute hätten ihn verstoßen, weil er bloß so zum Spaß Menschen umgebracht habe. Und er habe mich geheiratet, um seinen eigenen Stamm gründen zu können. Er wolle nur eins, ein Kind, und dann mit mir fortziehen, wenn es entwöhnt
Weitere Kostenlose Bücher