Lichtschwester
sammelte sich, steckte den Dolch ihres Bruders in den Gürtel und zog ihr Schwert.
Die erste Figur fiel steif aus, die zweite schon weniger. Aber im Lauf der ersten Übungsfolge fand ihr Körper seine Ausgewogenheit wieder. Und am Ende der Trainingsstunde war er schon wieder eine Verlängerung ihrer Klinge.
Vor und zurück blitzte ihr Schwert ... vorbei an einer hohen oder tiefen Deckung und herum in einem singenden Hieb, der den Gegner enthauptet. Sie fühlte die süße Harmonie der Muskeln und auch das Nachgeben des Holzbodens, hörte die Klinge die Luft zerschneiden und den Wind durchs offene Fenster säuseln, spürte ihr Sein und den dumpfen Herzschlag der Stadt dort draußen. Der Klang rasch näherkommender Schritte überraschte sie nicht ... Sie führte gelassen die letzte Figur zu Ende und stand wie eine Statue der Belisama in der Arena, als die Tür aufflog und Tara auf die Schwelle trat.
»Shanna! Shanna, oh, nein . ..«, rief sie, hielt sich am Türrahmen fest und starrte die Kriegerin an.
»Tara«, erwiderte Shanna ruhig, »du siehst die, die ich bin ...« »Oh, ja«, schluchzte Tara, »die Aberaisi werden sich freuen . .. dich so zweifelsfrei erkennen zu können!«
»Nun kommen sie also?« fragte Shanna. Aber das hatte sie bereits gewußt. Schon beim Aufwachen hatte sie gewußt, was dieser Tag ihr bringen würde.
Tara nickte. »Die Straße vom Marktplatz her! Lauf, Shanna ... Ich halte sie mit irgendeiner Geschichte hin, um dir einen Vorsprung zu verschaffen ...«
»Was dir nur gelingen wird ... bis dir einer von ihnen die Bluse aufschlitzt«, fiel Shanna ihr ins Wort. »Oder hast du vergessen, daß Lady Amniset auch die Mondmütter haßt? Wir müssen jetzt beide fliehen, aber ich gehe als erste, und du nimmst einen anderen Weg als ich.«
»Wir treffen uns beim Brunnen am Tor der Weisheit«, keuchte Tara, die schon unter dem Kaminsims nach dem Beutel mit ihrer Barschaft tastete. »Wir teilen uns das Geld ... für den Fall, daß eine von uns aufgehalten wird!«
»Nein, nimm du alles«, erwiderte Shanna und horchte zur Tür.
»Und warte nicht auf mich!« Da hörte sie drunten Stein unter Stiefeln knirschen und Metall klirren. Mit einem Satz war sie neben Tara, legte ihr die Hand über den Mund und flüsterte ihr zu:
»Geh zu den Mondmüttern zurück, und sei eine Heilerin ... Du wirst erneut lieben, denn dazu bist du geschaffen. Ich werde zu leben versuchen, aber mir ist wohl das Alleinsein bestimmt.« Tara weinte stumm. Shanna nahm sich noch die Zeit, ihr die Tränen fortzuküssen. Aber da drang von der Straße dumpfes Stimmengewirr zu ihnen. Tara fuhr erschrocken zurück, und Shanna stieß, als sie der Balance wegen den Arm schwang, mit dem Schwertknauf gegen den Spiegel. Da lief ein Zickzackriß durchs Glas, und die zwei Frauen starrten für einen Moment ihre plötzlich getrennten Spiegelbilder an, bis dann das ganze Haus unter den schweren Schlägen gegen die Eingangstür erbebte und die beiden Spiegelhälften zu Boden fielen und in tausend Stücke zersprangen.
Drunten flog die Tür krachend auf. Shanna schob Tara schnell zum Bett und hoffte dabei, daß sie klug genug wäre, sich darunter zu verstecken. Schon hörte sie ihre Feinde den rechten Treppenbogen heraufpoltern. Einen Atemzug lang zwang sie sich noch abzuwarten, aber dann sprang sie auf den Absatz hinaus. Ein Dutzend Männer in violetten Livreen drängte die Treppe herauf. Gesichter konnte sie im trüben Licht nicht ausmachen, nur das Schimmern von gebleckten Zähnen und gezückten Schwertern. Sie verharrte kurz, um sich den Häschern zu zeigen, querte den Treppenabsatz mit einem Sprung und stürmte dann den linken Bogen hinab.
Die beiden Schlußmänner waren schlau genug, sofort kehrtzumachen, um Shanna den Weg abzuschneiden. Aber den einen schickte sie mit einer klaffenden Halswunde jäh zu Boden, und der andere stolperte über seinen Kameraden und schlug der Länge lang hin, während sie durch die offene Tür hechtete. Als Shanna nun die Straße entlanglief, hörte sie hinter sich ihre Verfolger aufheulen. Sie hoffte, daß ihr alle folgten - sie waren von Rachedurst und Pflichtgefühl beseelt und sahen sie genau vor sich; aber wahrscheinlich würden sie nicht säumen, das Zimmer zu durchsuchen. Shanna riskierte noch einen kurzen Blick zurück und beschleunigte ihren Schritt. Sie hatte zwar ihre Kampffertigkeit wiedererlangt, aber schon lange kein Lauftraining mehr
Weitere Kostenlose Bücher