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Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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einem Ohr, als sie an ihm vorüberging. Wie lange lebte eigentlich so ein Kater?
      Sie schlug ihr Pult auf und stellte Federn und Tintenfaß bereit. Der riesige, rötlich gefärbte Kater auf dem Fenstersims bewegte sich unruhig im Schlaf.
      Im folgenden Jahr ließ ihr Gedächtnis stark nach. Sie konnte sich bald an kein Gesicht, keine Stimme und keine Minute der Muße oder Freude aus all der Zeit mehr erinnern, die sie in der kalkweißen Zitadelle verbracht hatte. Da war die Arbeit und gelegentlich, zu ihrem Mißbehagen, auch Meule ... An den Hausherrn, der ihr ja wohl ihre Arbeit zuteilte, und die Dienstboten, die ihr doch Speis und Trank, Bettwäsche und Waschwasser und Kerzen brachten, hatte sie keinerlei Erinnerung.
      Aber Cheyne war ihr immer sehr präsent. Cheyne, der sie im Winter gewärmt hatte und ihr Licht im Dunkel gewesen war. Cheyne, der im Frühling einmal Schmetterlinge gejagt und dann reglos, mit einem Riesenbuckel, auf ihrem Fensterbrett gehockt hatte. Cheyne, das einzige Lebewesen in Windwalls, das ihr gab, was jedes Lebewesen braucht. Cheyne, ihr Kerkermeister.
      Die Sonne ging schon unter, als sie endlich die Pinsel und Federn forträumte. Ein gutes Tagwerk, so gut wie jedes andere in diesen letzten sieben Jahren. Ihre Dienstherren würden zufrieden sein. Solide. Meisterhaft... Zum Verrücktwerden.
      Das war nicht die Art Arbeit, von der sie während ihrer Lehrzeit geträumt hatte - nicht die Kunst, zu der ihr Orden in Harkady sie einst, im Wissen um ihr Talent, ausgebildet und angehalten hatte. All die noch ungebundenen Seiten, die sich da unter ihren Händen breiteten, waren einfachste Schreibarbeit - Buchstaben zu Worten gereiht, Worte zu Seiten und Seiten zu Seiten, zu einem uferlosen Meer von Seiten. Sie malte keine Initialen mehr rot aus, ja, sie schrieb überhaupt keine Initialen mehr, zog keinen sauberen, dem Auge wohltuenden Rand mehr, schmückte die Deckel der Bücher, die sie hier fertigte, nicht mit leuchtenden Edelsteinen. Alles, was sie hier hervorbrachte, war nur klein und rund und säuberlich -ordentlich, grau, verläßlich.
      Und ihrer Fähigkeiten ebenso unwürdig wie der Mühe und Liebe, die für ihre Ausbildung aufgewandt worden waren. Warum hatte das Haus Windwalls überhaupt eine Meisterbuchmalerin gedingt, wenn man nicht mehr als das wünschte? Und warum ließ man sie nicht endlich ziehen?
      Coelli seufzte ... Sie hatte mit Meule geredet und gestritten und ihm vor Augen geführt, daß er für diese Vertragssumme ein ganzes Heer von Schreibern hätte haben können. Aber nein ... Windwalls hatte sie gedingt, und er beantwortete ihre Tränen, Drohungen und Bitten mit Schmeicheleien und der Versicherung, man sei mit ihrer Arbeit höchlich zufrieden — und einem deutlichen Hinweis auf die Laufzeit ihres Vertrages. Für die Lebenszeit der Katze.
      Die Tage wurden kürzer. Coelli mußte sich eingestehen, daß wieder ein Sommer vorüber war und sie noch immer in Windwalls saß. 
      Bald wäre es Winter, und dann würde sie ihre Zeit damit zubringen, bei Lampenlicht harmlose, graue Bücher zu fertigen und vom kommenden Frühjahr zu träumen, das ihr, vielleicht, die Erlösung von ihrer Fron und die ersehnte Freiheit brächte. Coelli spürte, daß ihr Können verkümmerte, da es nicht gefordert wurde, und hatte endlich den Eindruck, von Morgen zu Morgen ein Stück mehr an Kraft und Würde zu verlieren und von Tag zu Tag auf mehr ungemachte Bücher zurückzublicken - ihre ungeborenen Kinder, deren Klagen sich mit dem Heulen des Windes vereinten.
      Man machte sie zum Krüppel! Mit jedem Tag und jeder Beteuerung, man verlange nur Mittelmäßiges, stahl man ihr noch ein wenig mehr von ihrer Größe, ihre Verzweiflung wuchs von Verlust zu Verlust. Aber Windwalls' Magie hatte ihr ihren Widerstandswillen wie mit sanfter Chirurgie genommen. Waren diese Leute grausam? Oder haßerfüllt? Sie wußte es nicht. Ihr war die Gabe, zu richten und zu urteilen, abhanden gekommen. Dieses Haus war in seinen Unternehmungen so sehr auf Sicherheit bedacht, daß es ihr mit dem schändlichen Dienstvertrag die Seele geraubt und in den Körper des Katers verpflanzt hatte. So daß sie nicht fliehen und nicht einmal von Flucht träumen konnte, solange Cheyne am Leben war.
      Die Äste peitschten ihr ins Gesicht. Schluchzend, verängstigt und voller Scham über ihre Tat, stolperte Coelli Lightfoot durch den dunkler werdenden Wald. Das Blut klebte ihr so an den Händen, daß sie

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