Lichtschwester
Sekunden damit, am Ufer des Tümpels, auf dem ja ihr Tod heranschlich, entlangzulaufen, und hangelte sich dann an Wurzeln, die aus dem Lehm ragten, die steile Böschung hinauf.
Sie sah sich suchend um. Aber im Licht des Vollmonds bot der Wald keine Deckung, wirkten die Bäume wie die stehengebliebenen Säulen eines zerstörten riesigen Tempels. Auf einen Baum konnte sie sich nicht retten, da das Biest, das ihr folgte, bestimmt viel besser kletterte. Also lief Coelli weiter, obwohl sie gut wußte, daß sie nicht die kleinste Chance hatte. Windwalls würde sie nicht wieder aufnehmen, nachdem es dieses Untier auf sie losgelassen hatte.
Das Rasseln von Bernsteinperlen ließ Coelli aufhorchen ... Sie sah in vollem Lauf zu ihrem Rangabzeichen hinab und umklammerte es in einer jähen Aufwallung. Aber dann hätte sie fast bitter über sich selbst gelacht - mit so einer Meisterfederbüchse konnte sie ihren Verfolger doch nicht beeindrucken!
Doch die Beine wollten ihr nicht mehr gehorchen. Sie blieb stehen und machte kehrt. Nun hieß es Atem holen und dann kämpfen. So sie konnte. Sie war weder Priesterin noch Kriegerin ... und hatte als »Waffe« ja nur ihre Lackfederbüchse, die das Werkzeug ihrer Kunst enthielt: Federkiele, Pinsel, Tintenstift und Block und dazu ein winziges Federmesser mit silbernem Griff. Nun hielt sie ihr Etui wie ein heiliges Amulett schützend vor sich hin und grub in ihrem schlechten Gedächtnis nach dem Wissensfetzen, auf dem ihre ganze Überlebenshoffnung gründete. Und dabei hörte sie den Höllenkater, schon viel zu nah, die Böschung heraufklettern.
Aber das Bedürfnis nach einer Waffe, irgendeiner Waffe, ließ sie jetzt die Büchse öffnen und das winzige Messer herausholen. Hell blitzte nun die schmale Klinge im Mondlicht auf, und ihr Gleißen schlug in den Augen des zum Sprung ansetzenden Katers Funken, die wie eine Erwiderung darauf waren.
Er war viel massiger, als sie gedacht hatte, und warf sie einfach um. Sie glitt über nasses, halb verwestes Laub und spürte seinen heißen, höllisch stinkenden Atem, als er den Kopf zum Biß senkte.
Halb von Sinnen vor Angst, hämmerte sie ihm mit den Fäusten gegen die Schläfe, und dabei drehte sich ihr das Messer in der Hand und schnitt ihr ins Fleisch ... Der Kater riß ihr mit den Hinterpfoten tiefe blutende Wunden in die Beine, da er Halt suchte, um ihr den Bauch aufzuschlitzen, und näherte seinen Dämonenschädel und sein weit aufgerissenes Maul wieder ihrem Hals. Jetzt fiel Coelli ein, warum sie sich von dem Federmesser Rettung versprochen hatte, und sie wappnete sich gegen die kommenden Schmerzen und stieß nun dem Teufelstier, so weit ihr Arm reichte, die Klinge durch den Rachen ins Gedärm. Daß Cheynes Geist in ihr zustimmend miaute, nahm ihr die Angst.
Das Untier war so überrascht, daß es das Zubeißen vergaß. Da ließ sie, um aus seinem ekligen, klebrigen Gekröse freizukommen, das Messer los und zog Arm und Hand zurück — spürte dabei aber noch, wie der Kater seine Kiefer zu schließen begann. Und da wußte sie, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Dann verschwand der von Eisen und Silber verbrannte Nachtmahr in tonlosem Geheul. Nur die tiefen Beinwunden und dieser ringförmige Biß um ihren Oberarm, aus dem rubingleiche Blutstropfen quollen, erinnerten nun noch an ihn.
Eine Meisterilluminatorin ist zwangsläufig auch Gelehrte. Denn um ein Werk richtig schmücken und binden zu können, muß sie den Text nicht nur lesen, sondern auch verstehen können.
Eisen bricht die Mondzauber.
Silber bricht die Sonnenzauber.
Und das kleine Messer bestand aus beiden Metallen.
Nach einer Weile rollte Coelli sich auf die Seite, zog die Beine an und begann zu weinen. Nun war sie wirklich frei.
Als die Sonne den Mond am Himmel ablöste, wusch sie sich mit dem klaren Wasser des hier in den Sumpf mündenden Baches ihre Wunden aus und verband sie mit Moos und Stoffstreifen, die sie von ihrem Hemd abriß, und kaute nun eine bestimmte Baumrinde, bis sie einen klaren Kopf hatte. Dann machte sie sich auf den langen Weg zurück nach Windwalls. Ihre Federbüchse aber ließ sie da, wo sie lag.
Der Wald hatte immer Rohstoffe für ihre Kunst geliefert. Nun ließ Coelli sich von ihm ernähren, am Leben erhalten, auf daß sie ihre Aufgabe zu Ende bringen könne. Sie brauchte beinahe drei Tage für den Rückweg durch die Wildnis, den sie auf dem Hinweg in einer Nacht im Lauf hinter sich
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