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Lichtspruch nach Tau

Lichtspruch nach Tau

Titel: Lichtspruch nach Tau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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Pflichtbewußt spazierte er Tag für Tag durch die Gänge, um sie zu inspizieren; mit seinem lebendigen, seidigen, weichen Fell wischte er die Wände ab, und mit seinem buschigen Schwanz entfernte er selbst die allerletzten Staubkörnchen. Ehrerbietig ordnete er sich dem Hirn unter, gewissenhaft erfüllte er seine Aufgabe, und die Menschen, die in ihrer massiven Dummheit vermeinten, er diene ihnen, zollten ihm höchsten Respekt. Mein Urururgroßvater jedoch würdigte sie keines Blickes, er betrachtete das Hirn als seinen Herrn und Gebieter und diente ihm mit der würdevollen Ergebenheit eines königlichen Kammerdieners. Ein Gleiches taten später mein Ururgroßvater und mein Urgroßvater, die ihn ablösten, als er alt wurde, so daß es ihm seine steifer werdenden Gelenke nicht mehr gestatteten, sich wie ein Lakai dienstfertig zu winden.
    Woher ich das alles weiß?
Meine ehrenwerten Ahnen versahen über Generationen ihren Dienst an Hirn und Reaktor. Bei der Verrichtung ihrer alltäglichen Arbeit waren sie beträchtlichen Strahlungsmengen ausgesetzt, unter denen sich ihr Fell wohlig sträubte, und obwohl sie keine gesundheitlichen Schäden erlitten – dank der diesbezüglichen Widerstandsfähigkeit unseres Organismus, wie ich erwähnte –, traten doch gewisse Veränderungen in ihrer genetischen Substanz ein. Da auf dem Schiff ausschließlich unsere Familie lebte und deshalb meine weiblichen Urahnen die Nichten meiner männlichen Urahnen waren, summierten sich dank den engen Verwandtschaftsehen diese kleinen Veränderungen bereits bei meinem Großvater, und sie bewirkten vor allem eine kräftige Entwicklung seines Gehirns.
In der Tat, mein Großvater war eine außerordentliche Persönlichkeit. Als erster in der Familie diente er dem Hirn nicht nur, sondern er studierte es auch. Er untersuchte es systematisch, Teil für Teil, er vertiefte sich in seine Funktionsweise, und nachts (wenn der Offizier vom Dienst in seinem weichen, bequemen Sessel eingenickt war) spazierte er auf das Armaturenbrett, um die Zusammenhänge zwischen dem Stand der Zeiger zu ergründen. Seine Kenntnisse gab er an meinen Vater weiter, dessen Wissensdurst gleichfalls unersättlich war und der sich zudem einer außergewöhnlichen Geschicklichkeit rühmen konnte. Den Menschen fiel das nicht auf, ebensowenig, daß er von Kindesbeinen an interessiert ihren Gesprächen lauschte und einwandfrei ihre Sprache verstand. Unsere tonbildenden Organe sind nicht imstande, menschliche Sprechgeräusche zu erzeugen, deshalb versuchen wir nicht erst, sprechen zu lernen; mein Vater allerdings zeigte auch nie die geringste Neigung, den Menschen sein Wissen zur Kenntnis zu bringen – er hielt sie dessen einfach nicht für würdig. Dagegen öffnete er mir die volle Schatzkammer seiner reichen Erfahrungen und Kenntnisse, und meine Ambition war es, mich meiner ehrenwerten Ahnen nicht unwürdig zu erweisen.
Von früher Kindheit an erfüllte mich ein tiefes Interesse für die Mathematik. Ich war bestrebt, das vorzugsweise praktische Wissen meines Vaters und meines Großvaters durch mathematische Studien zu ergänzen. Das Schiff führte – hauptsächlich aus Gründen der Platz- und Gewichtseinsparung – nicht Bücher, sondern Quarzkristalle mit sich, die ich mit Leichtigkeit in die Leseapparatur einlegen konnte, und so nutzte ich die Nachtstunden, die die Schiffsmannschaft in den Kabinen verbrachte, für meine Studien.
Wir konnten von Glück reden, daß die Tür unseres gemütlichen Käfigs nie geschlossen wurde, so daß wir uns vor und nach unserem Dienst ganz frei an Bord des Schiffes bewegen konnten. Die Menschen sahen unsere schlanken, graziösen Gestalten gern durch die Flure, die Kabinen oder den Steuerraum huschen (wir sie viel weniger gern), und der Diensthabende war glücklich, wenn sich während der langen und zumeist langweiligen Stunden seines Dienstes eine meiner Schwestern in seinen Schoß kuschelte und duldete, daß er mit seinen dicken Menschenfingern ihr seidenweiches Fell streichelte.
Ich war nicht gewillt, mich zu solchen Verbrüderungen herabzulassen, lieber durchstöberte ich im Zuge meiner systematischen Entdeckungstouren alle Ecken und Winkel des Schiffes, um mich mit ihm in allen Einzelheiten vertraut zu machen. Verschlossene Türen störten mich nicht, denn durch die Lüftungsöffnungen konnte ich in jeden Raum eindringen, selbst in den allerheiligsten, den zentralen Steuerraum. Diese Möglichkeit nutzte ich redlich aus, und ich wage zu

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