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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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den Himmel wie eine Sternschnuppe, und Li brauchte einen Moment, bis sie darauf kam, dass dieses Licht direkt neben ihr brannte. Cohen hatte sein Feuerzeug in die Hand genommen und spielte gedankenverloren damit herum, wedelte mit Ramirez’ Finger über der blauen Flamme.
    »Ich werde die Sache abblasen«, sagte er. »Ich sage Korchow, dass du es nicht kannst. Ich werde mir schon etwas einfallen lassen, wie ich es ihm glaubhaft mache.«
    Li lachte bitter. »Meinst du, wir spielen hier eine Partie Bridge? Wenn du das tust, bringt er mich um.«
    »Nein, nein. Dafür sorge ich schon.«
    »Du kannst nicht für alles sorgen, Cohen.«
    »Was dann?«, fragte er. Seine Worte wurden durch einen heftigen Regenguss draußen gedämpft.
    »Wir machen weiter. Wir bringen das Intraface in Gang und ziehen das Ding durch. Und wenn es hart auf hart kommt, wenn’s wirklich ans Eingemachte geht, werden wir tun, was nötig ist, um aus der Sache lebend rauszukommen. Schaffst du das?«
    »Schaffst du das?«
    »Ich kann’s jedenfalls versuchen.«
    »Also gut.«
    Ein Regentropfen drang durch einen Riss in der Abdichtung der Kuppel und zerplatzte neben Li mit einem scharfen Pling . Sie beugte sich vor, drückte die Zigarette im Wasser aus und verschmierte sie zu einem schmutzigen, rußigen Matsch.
    »Catherine?« Cohen berührte sie an der Schulter, als wollte er Li auf sich aufmerksam machen.
    Sie wandte sich ihm zu. Er war ihr nah, ganz nah, und saß so still, dass man glauben konnte, Ramirez’ Herz
schlug nicht mehr. Er berührte sie an der Wange, und sie spürte, dass seine Finger über trocknende Tränen strichen. Dann legte er eine Hand um ihren Nacken und zog ihren Kopf an seine Schulter.
    Sie entspannte sich in seinen Armen, ließ es zu, dass ihr Körper sich an seinen schmiegte, dass der Rhythmus ihres Atmens sich seinem anpasste. Ihr wurde klar, dass sie es leid war, sich zu verstecken. Dass sie des Kämpfens müde war. Dass sie einfach nur müde war.
    Nach und nach, so allmählich, dass sie es anfangs kaum bemerkte, wich die angenehme Wärme einer anderen Art von Wärme. Sie bemerkte Cohens charakteristischen Geruch – oder Ramirez’ Geruch. Sie begann über die Datenkanäle zu spüren, wie sie für ihn roch. Die Berührung seiner Finger in ihrem Nacken gewann eine neue Präsenz und Dringlichkeit. In ihrem Kopf nahm ein Bild Gestalt an: sie selbst, die den Kopf hob, die Lippen öffnete, ihm den Mund zum Kuss anbot. Kam das Bild aus seinem oder aus ihrem Geist? Fühlte sie seine oder ihre eigene Sehnsucht? War es noch wichtig?
    »Cohen«, sagte sie, aber ihre Stimme klang in ihren Ohren so verschwommen und gedämpft, dass es sich anhörte, als ob eine Fremde sprach.
    Er hob ihr Gesicht, wischte eine letzte Träne weg und fuhr mit einer weichen Fingerspitze ihre Oberlippe entlang. Er sah sie an. Ein zarter, wehrloser, fragender Blick. Ein Blick, der eine Antwort verlangte.
    Die Decke vor der Luftschleuse raschelte, und jemand trat mit schnellen Schritten in die Halle. Cohen wich zurück. Li senkte den Blick, und ihr Puls hämmerte in ihren Ohren, als Bella zu ihr heraufsah.
    »Korchow sucht dich«, sagte sie. Li bemerkte, dass ihr Blick zwischen ihr und Cohen hin und her ging. »Er will’s noch einmal versuchen.«

Shantytown: 7.11.48.
    S ie wusste, wohin sie ging, als sie sich an diesem Abend aus dem Unterschlupf schlich – auch wenn sie es sich selbst nicht eingestehen wollte.
    Es war peinlich zu erkennen, wie wenig ihr Leben sie wirklich verändert hatte. Sie versteckte sich noch immer, belog sich selbst, spielte immer noch die gleichen Spiele, die sie in diesen Straßen als Zehnjährige mit schorfigen Knien gespielt hatte.
    Laufe nicht vor einer schwarzen Katze oder einem weißen Hund. Trittst du auf ’nen Knick, bricht Mutter sich’s Genick. Wirf Salz über die Schulter, und die Grubenpfeife wird nicht pfeifen. Und natürlich die Hauptregel, gegen die auf keinen Fall verstoßen werden durfte. Gib nicht zu, was du willst, nicht einmal dir selbst gegenüber, sonst wirst du’s nie bekommen.
    Sie konnte nicht glauben, dass sie das Haus gefunden hatte. Es verunsicherte sie, dass ihre Beine sie von allein dorthin trugen, als ob diese Straße, diese Ecke, diese besonders schiefe Gasse mit etwas Dauerhafterem als einer Erinnerung in ihren Körper eingegraben wäre. Der Weg schien ihr so natürlich, so vertraut in der Dunkelheit, dass sie nicht wusste, ob sie ihn bei Tageslicht gefunden hätte. Wie kam es, dass sie das Gefühl

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