Lichtspur
mir gesagt, sie sei hier.«
»Ja, stimmt.« Er winkte dem Barkeeper, der so schnell angelaufen kam, als habe er die ganze Zeit zugesehen. »Sie sucht nach Mirce. Eine Polizistin.«
Eine träge Welle ging durch die Bar, als er das Wort aussprach. Leute verlagerten unmerklich ihre Position oder suchten sich sogar neue Plätze, weiter weg von Li. Einige Gäste schlichen zu den Ausgängen. Li beobachtete das alles mit einer gewissen Belustigung, aber es beunruhigte sie auch; zwischen hier und dem Unterschlupf gab es eine Menge dunkler Gassen, und es war eine Dummheit gewesen, sich als Angehörige der Friedenstruppe an einem Ort zu erkennen zu geben, wo ihre Implantate mehr wert waren, als die übrigen Gäste in ihrem Leben legal verdienen würden. Dann trat Mirce Perkins aus dem Hinterzimmer, und Li dachte nicht mehr an den Rückweg oder die Vorkehrungen, die sie hätte treffen sollen, sondern nur noch an die Frau, die auf sie zulief.
Sie kannte dieses Gesicht. Und zwar nicht nur aus fernen Kindheitserinnerungen. Es war die Frau, die sie bei Daahl gesehen hatte. Die Frau, die ihn hatte zusammenzucken lassen, als sie am Grubenkopf auf sie zukam. Die Frau, die er Li nie vorgestellt hatte.
Li suchte in dem grobknochigen Gesicht, dem drahtig muskulösen Körper einer Grubenarbeiterin nach Gemeinsamkeiten. Nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass sie eine Unterkunft und ein Leben geteilt hatten. Irgendein Hinweis darauf, dass dies die Frau war, die den Schwindel ausgeheckt hatte, der Li allen Widrigkeiten zum Trotz aus den Fesseln von Compsons Planet befreite. Sie sah nichts davon. Nur eine Fremde mit hartem Blick.
»Mrs. Perkins?«
Sie zündete sich eine Zigarette an und hielt die Hand übers Feuerzeug, sodass Li das fehlende Glied am ersten Finger sehen konnte – und den neuen Ring am dritten. »Nicht mehr Perkins«, sagte sie. »Ich habe wieder geheiratet. «
Lis Herz machte einen verräterischen Sprung, als sei sie auf Eis ausgerutscht und beinahe gestürzt. Sie hatte nie daran gedacht, dass ihre Mutter noch einmal heiraten könnte. Und sicher nicht, dass sie andere Kinder haben könnte. In einem Winkel von Lis Geist hatte alles in dem Moment aufgehört, als sie ging. Ihre Gegenwart lief weiter, aber ihre Vergangenheit blieb, wie sie war, in Bernstein versiegelt, immer da, wenn Li sie wirklich brauchte. Sie hätte es besser wissen müssen.
»Wollen Sie sich nicht vorstellen?«, fragte Mirce kühl.
»Major Catherine Li, UNSR.«
»Kann ich Ihre ID-Karte sehen?«
Li fischte in ihrer Tasche und hielt der Frau ihr E-Papier hin. Mirce nahm es in beide Hände und begutachtete es sorgfältig, wobei sie mehrere Male zwischen Lis Gesicht und dem ID-Hologramm hin- und herschaute. Li schluckte. »Können wir vielleicht irgendwohin gehen, wo …«
Mirce schüttelte den Kopf, eine kaum merkliche Geste, so kurz, dass Li sie sich eingebildet haben konnte. Ihre blassen Augen richteten sich auf den Barkeeper, der ein paar Meter weiter Gläser abwischte.
Li zögerte, versuchte die Unterströmungen dieses unzureichenden Gesprächs zu verstehen. Wieder geheiratet, hatte Mirce gesagt. Das hieß, sie hatte einen neuen Mann. Gab es auch neue Kinder? War das Mädchen, das in der Tür gestanden hatte, eines davon? Wusste sie überhaupt etwas von Li? War es das, was Mirce ihr zu sagen versuchte? Dass sie in den letzten fünfzehn Jahren selbst viel vergraben und vergessen hatte? Li schluckte. »Ich … äh, ich bin gekommen, weil ich eine Nachricht für Sie habe.«
»Von wem?«
»Von einer Freundin.« Sie bekam Aufwind, wusste wieder, was sie sagen wollte. »Caitlyn.«
»Oh.« Mirces Mundwinkel zuckten ganz leicht nach oben. »Ich verstehe.«
»Ähm … sie hat es diesmal nicht geschafft, und vielleicht wird es noch eine Weile dauern, bis sie wieder hier ist, aber sie wollte Ihnen Bescheid geben, dass es ihr gut geht. Da war noch etwas, aber ich … ich hab’s vergessen. Man vergisst eine Menge bei diesen Sprüngen. Nicht nur Kleinigkeiten. «
Mirce schaute wieder zu dem Barkeeper hinüber, aber er war von einem Kunden gerufen worden. »Die Ärzte sagten, dass das passieren würde.«
»Es ist passiert.«
Mirce zuckte kurz mit den Achseln, als wollte sie sagen: Was soll man machen? Es war die Geste einer eigensinnigen Frau, die alles auf die harte Tour gelernt hatte, und plötzlich wusste Li – wusste mit absoluter Sicherheit –, dass sie sich an sie erinnerte.
»Es tut mir leid«, sagte Li.
»Es tut Ihnen leid?« Aus
Weitere Kostenlose Bücher