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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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dass du es nicht willst.«
    »Das ist lächerlich!«
    »Ja? Was ist denn heute Nachmittag passiert? Du bist davongelaufen wie ein scheuendes Pferd. Willst du mir verraten, wieso?«
    »Du weißt, wieso«, flüsterte sie.
    »Natürlich weiß ich es. Ich weiß Dinge, an die du dich nicht einmal erinnerst. Dinge, an die du dich nicht erinnern willst. Wann wirst du endlich begreifen, dass ich die einzige Person bin, vor der du dich nicht verstecken musst?«
    Aber das war eine Frage, die sie nicht einmal ansatzweise beantworten konnte.
    »Hör zu«, sagte Cohen erschöpft. »Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich glaube nicht, dass es noch Anlass für nennenswerte Vorwürfe gibt, wenn man meinen Anteil an all dem unter die Lupe nimmt. Ich habe die erstaunliche Fähigkeit, immer rationale Gründe zu finden, um genau das zu tun, was ich tun will, und diesmal habe ich mich selbst übertroffen. Ich habe dir geholfen. Ich habe der EBKL geholfen. Ich habe jedem außer mir selbst geholfen. Es war alles so logisch, so edel und selbstlos. Und wozu hat meine
›Hilfe‹ geführt? Korchow erpresst dich, damit du mich in deiner Seele herumschnüffeln lässt und deine tiefsten Geheimnisse ans Tageslicht holst.«
    Li wollte etwas sagen, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Habe ich dich manipuliert? Vielleicht. Und ja, ich war bereit, dich in eine Ecke zu drängen. Oder zumindest Korchow dabei zu unterstützen. Aber als du mir vorgeworfen hast, dass ich Spielchen mit dir treibe … nun, du weißt, dass es nicht so läuft. Du hältst jeden Schlüssel zu jeder Tür in der Hand. Und du hast das Intraface nicht gebraucht, um sie zu öffnen. Du hättest es schon vor Jahren tun können, wenn du gewollt hättest. Es gehörte alles dir. Das Ganze. Immer noch.«
    Li wandte sich ab und sah in den grauen Himmel hinauf. Der letzte Schimmer Sonnenlicht verschwand gerade hinter einem wolkenverhangenen Horizont. Sie streckte die Hand aus, ohne hinzusehen, und Cohen fasste sie. Er drückte fest zu, bis sie die Knöchel unter der Haut spürte.
    Er lachte. »Sag etwas. Oder ich fange an zu betteln, und es wird für uns beide peinlich.«
    Sie drehte sich zu ihm um.
    »Oh Gott, Catherine, weine doch nicht. Ich kann nicht einmal den Gedanken ertragen, dass du weinst.«
    Aber es war zu spät dafür.
    »Weißt du, wie ich dafür bezahlt habe?« Sie deutete auf ihr Gesicht. »Für die Genmodifikation?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Mit der Lebensversicherung meines Vaters.«
    »Oh, wie in dem Traum.«
    »Ja, wie in dem Traum. Er ging mit Cartwright ins Bergwerk und hat sich umgebracht. Sie haben es so hingedreht, dass es wie ein Todesfall durch eine Staublunge aussah, nur damit ich das Geld hatte, um den Body-Shop zu bezahlen.
Hast du das gewusst? Hast du dieses kleine Geheimnis gewittert?«
    »Nein«, sagte er mit leiser, ruhiger Stimme.
    »Dann begreifst du wohl, dass der Traum keine Lüge war. Ich habe ihn umgebracht. Genauso, als hätte ich ihm eine Waffe an den Kopf gesetzt.«
    »Er wäre ohnehin gestorben. Ich habe die medizinischen Daten gesehen.«
    »Nun, er wäre später gestorben. Er hätte noch Jahre weiterleben können. Er hat sich umgebracht, um mir das Geld zu beschaffen. Und ich habe es genommen, bin gegangen und habe nie zurückgeschaut. Und weißt du, was das Schlimmste daran ist? Ich habe ihn nicht einmal nach unten begleitet. Meine Mutter ging mit ihm. Ich nicht. Ansonsten habe ich jeden Scheiß aus meiner Kindheit vergessen. Man sollte meinen, ich hätte auch das vergessen können.«
    »Du warst jung. Kinder sind nicht immer stark. Wer ist das schon?«
    »Darum geht’s nicht.«
    »Worum geht’s dann?«
    »Dass es mir inzwischen gleichgültig ist. Dass ich mich nicht mehr schuldig fühle. Auch nicht mehr traurig. Ich empfinde gar nichts mehr. Ich habe meine Heimat, meine Familie, jede Erinnerung weggeworfen, die einen echten Menschen ausmacht. Und ich habe nichts an ihre Stelle gesetzt als fünfzehn Jahre Lügen und Verstecken.«
    »Du hast mich.«
    Sie schloss die Augen. »Ich kann dir nicht geben, was du willst, Cohen. Ich habe es vor vielen Jahren verloren.«
    »Ich habe mich nicht in das Kind verliebt, das solche Angst hatte, sich zu erinnern«, sagte Cohen nach einem langen Schweigen. »Ich habe mich in dich verliebt.«
    »Es gibt keine solche Person«, sagte Li und zog ihre Hand weg.

    Die Nacht war angebrochen. Es gab kein Licht, keine Bewegung im offenen Raum der Kuppel unter ihnen. Über ihnen flackerte ein Licht, blitzte über

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