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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Der Junge hatte eine Reihe kleiner, perlenförmiger Narben auf dem Rücken, die die Grubenkinder sich zuzogen, wenn sie ständig mit nacktem Rücken an den Deckenbalken entlangschrammten und der blaue Kohlestaub sich in die Wunden fraß. Aber Li achtete kaum darauf. Sie betrachtete die Kristalle.
    Sie glitzerten wie ferne Sterne unter ihrer schweren Hülle aus Kohlestaub. Sie sahen aus wie Kristalle – die Bergleute nannten sie auch so –, aber Li wusste, dass sie bei einem Quantenscan Eigenschaften offenbarten, die kein Gestein aufwies. Sie waren quantenphysikalische Anomalien, eine einzigartige, mit nichts zu vergleichende Substanz, die den physikalischen Gesetzen nach bei Temperaturen über 0° Kelvin oder in einer Atmosphäre beziehungsweise in abbaubarer, transportabler, benutzbarer
Form nicht existieren konnte. Diese Substanz war eine Unmöglichkeit und ein tägliches Wunder, von dem die UN-Welten lebten.
    Aber sie waren für ihre Empfindlichkeit berüchtigt. Durch Sprengungen bekamen sie Risse. Schwere Werkzeuge beschädigten sie. Selbst ein heißes Grubenfeuer konnte sie vernichten – aber schon beim nächsten Feuer verbrannte vielleicht nur die umliegende Kohle und ließ ganze unterirdische Gewölbe voller Kristalle zurück. Ein geübter Bergmann konnte nur versuchen, mit Keilen, Spitzhacken und handwerklichem Geschick einen Kondensateinschluss so aus der Kohle zu lösen, dass er nicht ruiniert wurde. »Sie lebend zur Welt bringen«, hatte es Lis Vater genannt.
    Sie streckte die Hand aus und strich, als der Karren vorbeigeschoben wurde, mit den Fingern über die glatte Facette eines Kondensats, das ganz oben lag. Es fühlte sich warm wie Haut an. Ein Bergmann, der tief unten in der erstickenden Dunkelheit arbeitete, hatte es lebend zur Welt gebracht.
     
    Sharifis Anlage befand sich in dem kürzlich eröffneten Trinidad-Stollen – der tieferen und reicheren der beiden Kohlevorkommen, die Anakonda ausbeutete. Sie lag sechs Kilometer Luftlinie von Grube 3 entfernt und mindestens acht, wenn man sich durch die verschlungenen, auf- und abführenden Gänge des Bergwerks bewegen musste.
    Sie fuhren die ersten vier Kilometer in einem gedrungenen, neongrünen Bergwerkslaster, der rasselte wie trockene Bohnen in einem Topf und Dieselqualm auskeuchte. Zunächst fuhren sie durch die drei mal drei Meter großen Hauptgänge, durch die die Geräusche der Karrenräder und das Echo der Hammerschläge hallten. Bald bogen sie in immer engere Gänge ein, durchfuhren schräge
Kammern, die zu fast vertikalen Kohleadern sechs Meter über ihren Köpfen hinaufführten. Je weiter sie sich vom Grubenkopf entfernten, umso spärlicher wurden die Stromversorgung und die Beleuchtung, bis nur noch die schaukelnden Lichtkegel der Frontscheinwerfer und eine Grubenlampe hier und dort die glänzenden Augen und kohleverschmierten Gesichter aus der Dunkelheit hoben.
    Sie ließen den Laster über einer langen, schmierigen Treppenflucht stehen, die mit einer geschlossenen Sicherheitstür verbarrikadiert war. Auf der zerschrammten Tür stand in Schwarz auf Orange FEUERGEFAHR – FUNKENBILDUNG VERMEIDEN.
    Der Sicherheitsoffizier setzte sich auf die Stoßstange des Lasters und zog sich ein paar Stiefel mit sandfarbenem Tarnmuster an, die den Eindruck machten, als seien sie selten benutzt wurden. »Trinidad ist eine feuchte Ader«, erklärte er. »Durch die Verwerfung strömt ein unterirdischer Fluss. Wenn die Pumpen ausfallen, dauert es einen, maximal zwei Tage, bis die ganze Ader vollgelaufen ist.«
    »Das Wasser ist fast raus«, sagte Haas. Er grinste, ein feuchtes, weißes Aufblitzen in der Finsternis. »Ich hoffe aber, Ihnen macht der Geruch nichts aus. Da drin sind Ratten. Und jede Menge anderes Viehzeug.«
    Der Konstrukteur der Treppe hatte ein Gefälle ausgenutzt, wo der Wilkes-Barre-Stollen abrupt zum Trinidad hin abfiel und die dazwischenliegenden Grundgesteinsschichten bis zu ihrer schmalsten Stelle zusammenpresste. Die Treppe führte zwanzig Meter zwischen feuchten Wänden hinab, traf auf einen niedrigen, relativ flachen Durchgang, fiel noch einmal zwölf Meter ab und brach in den Trinidad-Stollen durch.
    Dies hier war eine andere Art von Kohleader. Der Wilkes-Barre war abbaufreundlich: breit und nicht zu abgeschrägt, groß genug, um breite, hohe Gänge durchzuschlagen.
Der Trinidad war formlos, verlief kreuz und quer und war so schmal, dass sogar Li sich bald bücken musste, um nicht gegen das nach Kohle riechende Stahlgestänge zu

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