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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Oberschenkel eröffneten. »Ich glaube, es hatte etwas mit der Abbildung von Interferenzmustern zu tun.«

    »Was bedeutet das?«
    »Aha!« Er beugte sich vor und zeigte die Art von Enthusiasmus, den er gewöhnlich immer dann entwickelte, wenn er ihr mit Mathematik kam. »Interferenzmuster sind das Rätsel, das das gesamte Unternehmen der Quantenphysik angestoßen hat. Wir reden hier im Wesentlichen über das Doppelschlitz-Experiment.«
    »Oh«, sagte Li, als ihr Orakel eine lang vergessene Illustration aus einem Anfängerlehrbuch für Physik einblendete. »Du meinst, wenn man ein Photon durch einen Schirm schickt und es mit sich selbst eine Interferenz erzeugt? Und dann hört man sich die Verrenkungen der Physiker an, die darüber diskutieren, ob es eine Welle oder ein Teilchen ist. Oder beides. Oder nichts von beidem. Ich habe, offen gestanden, nie begriffen, was das mit Sharifis Arbeit zu tun hat.«
    »Da kommt die Kohärenztheorie ins Spiel. Was weißt du darüber?«
    Li zuckte die Achseln. »Du meinst die Everett-Sharifi-Gleichungen, das Kohärente-Welten-Theorem, etwa dieses Zeug?«
    »Genau. Und wie Sharifi in ihrer Präsentation sagte, ist die Antwort in der Vergangenheit, auf der Erde, zu finden. Um genau zu sein, reicht sie zurück bis ins zwanzigste Jahrhundert. Bis zu einem Amerikaner namens Hugh Everett, der die Wellentheorie der Quantenmechanik studierte und auf die verrückte Idee kam, dass quantenmechanische Wellenfunktionen überhaupt nichts Theoretisches sind. Sie waren tatsächlich Manifestationen einer Vielzahl von Welten, einer Vielzahl möglicher Geschichten. Kurz gesagt, er war davon überzeugt, dass der mathematische Formalismus der Wellenmechanik, die mathematische Form selbst, uns einen Schlüssel zum Verständnis des Universums liefert; dieser Teil hat Hannah natürlich besonders gefallen.
    Laut Everett ist jeder Punkt auf Schrödingers Wellenfunktion, die man benutzt, um die mögliche Position eines Elektrons um den Atomkern oder die mögliche Spinorientierung eines Photons zu berechnen, in einem physikalischen Sinne real. Nur nicht in dieser Welt. Sondern in einer anderen. Jedes Mal, wenn eine thermodynamisch unumkehrbare Messung stattfindet, zweigt eine von einer unendlichen Anzahl möglicher Welten ab.
    Man kommt also, um ein Lehrbuchbeispiel zu zitieren, an eine Kreuzung und muss sich entscheiden, ob man nach rechts oder links weitergeht. So scheint es jedenfalls. Tatsächlich aber schlägt man beide Wege ein, nur in zwei verschiedenen Welten. Oder, je nach der verwendeten Terminologie, in unterschiedlichen Universen, die Bestandteil des Multiversums sind.«
    »Und … was soll das Ganze? Heißt das, dass alles passiert, ganz gleich was man tut oder welchen Weg man einschlägt? Das ist doch verrückt.«
    »Nun ja, das ist wohl die Auffassung der Mehrheit. Zumindest war sie das mehrere Jahrhunderte lang. Die Vielweltentheorie war eine jener Theorien, die so absurd waren, dass Everett entweder nur verrückt sein oder recht haben konnte. Die meisten von Everetts Kollegen konnten nichts damit anfangen, und er verließ das akademische Milieu und rauchte sich schließlich zu Tode, ignoriert und verlacht.«
    »Was für eine Überraschung«, sagte Li bissig.
    »Stimmt. Nun, in den nächsten paar Jahrhunderten setzte Everetts Theorie Staub an, während die Experimentalphysiker weiter ihren Experimenten nachgingen. Experimente, die mit der Zeit, ohne dass es jemandem auffiel, die Vielweltentheorie immer weniger verrückt und immer mehr wie einen kleinen, aber wichtigen Teil der Wahrheit erscheinen ließen.

    Und an dieser Stelle hatte Hannah Sharifi ihren Auftritt. Hannah war von Everetts Werk besessen. Sie hat zwei Jahrzehnte darauf verwendet, um zu beweisen, dass die Vielwelten-Interpretation der Quantenmechanik richtig ist und dass Everett nur die experimentellen Daten und die geeigneten Computer fehlten, um sie zu beweisen.«
    »Aber sie hat sie nicht bewiesen, oder?«, sagte Li. »Sie ist gescheitert. Der berühmteste Fehlschlag in der Geschichte der Physik, nicht wahr? Der größte Fehler, seit Columbus Amerika entdeckte und glaubte, er sei in Indien gelandet.«
    »Ja. Sie ist gescheitert. Zumindest insofern, als sie nicht beweisen konnte, dass das Multiversum in dem Sinne eine physikalische Realität darstellt, wie sie es annahm. Aber – und das ist der springende Punkt – eine Theorie muss nicht experimentell beweisbar sein, um einen Nutzen zu haben. Und was sie mit der

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