Lichtspur
Programmierung gesehen – oder eher von der Entwicklung
eines kognitiven Affektschleifen-Programms, das schließlich zu dem emergenten Phänomen heranwuchs, das sich Cohen nannte. Die Programmierer hatten ihre Arbeit mit einer Offenheit geschildert, die für moderne Ohren schockierend klang. Sie hatten über Reaktionsmuster, Antriebe zur Steigerung des Wohlbefindens, emotive Manipulationen gesprochen. Diese Worte verspotteten Li, wann immer sie zu glauben begann, sie wüsste etwas über die Vorgänge hinter der äußeren Erscheinung eines Interfaces.
»Wie war es auf der Erde?«, fragte sie und schüttelte die Erinnerung an Chiaras schlanke Finger ab, die über die ihren strichen, an Roland, der allein mitten in einem überfüllten Raum stand und sie beobachtete.
»Schön«, sagte Cohen, und in seiner Stimme schwang etwas mit, das ein menschliches Ohr nur als Sehnsucht interpretieren konnte. »Es wird im Universum nie wieder etwas so Schönes geben.«
»Es gibt Compsons Planet«, sagte Li. »Er ist auch schön. Auf seine Art. Zumindest das, was von ihm übrig ist.«
Cohen lachte leise, als spuke ihm wieder eine angenehme Erinnerung durch den Kopf. »Du bist die zweite Person, die mir das sagt.«
»Tatsächlich?«
»Kannst du dir nicht denken, wer die andere war?«
»Wer denn?«, fragte sie.
»Hannah Sharifi.«
»Das gibt’s doch nicht«, platzte es aus ihr heraus. »Ich wünsche mir allmählich, ich hätte nie etwas von dieser Frau gehört! Gould wird in dreiundzwanzig Tagen in Freetown eintreffen und hat wer weiß was vor. Ich muss vor ihr dort sein. Ich muss wissen, woran Sharifi gearbeitet, was sie entdeckt hat. Was sie vor uns versteckte.«
Und ich muss wissen, wie weit ich dir vertrauen kann, Cohen.
Aber das konnte sie ihn nicht fragen.
Sie konnte es nicht fragen, weil sie in einem instinktiven, animalischen Winkel ihres Geistes wusste, dass dies die einzige Frage war, die er nicht beantworten konnte.
Nach ihrer Reise in den Ring kam Li ihr Quartier auf der Station noch trostloser und armseliger vor.
Sie loggte sich aus dem Strom aus, zündete sich eine Zigarette an – die letzte heute, hoffte sie – und sah sich die Spinvideo-Nachtprogramme mit heruntergedrehtem Ton an. Vage Erinnerungen schwirrten ihr durch den Kopf.
Sharpe hatte die vorläufigen Autopsieberichte über Sharifi und Voyt an sie weitergeleitet, und sie überflog beide halbherzig und kam zu dem Schluss, dass sie sie morgen noch einmal genauer lesen sollte. Der Bericht bestätigte, dass Sharifi erstickt war. Die Verletzungen an ihrem Kopf waren post mortem zugefügt worden, was schon die Blutspuren angedeutet hatten. Bevor sie gestorben war, hatte sie sich außerdem die Zungenspitze abgebissen.
Lis Magen krampfte sich zusammen, als sie dies las, aber sie sagte sich, dass es passiert sein könnte, als Sharifi zu Boden stürzte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass jemand in Panik geriet und stolperte, der aus einem brennenden Bergwerk zu entkommen versuchte. Und wie seltsam ihre Kopfverletzungen auch waren, sie war eindeutig an Erstickung gestorben, nicht an einem Schädeltrauma.
Voyts Autopsieergebnisse waren schon etwas verwirrender. Die Retter fanden seine Leiche in der Nähe von Sharifi, als ob die beiden gemeinsam zu entkommen versucht hätten, aber Sharpe vermutete als Todesursache den gleichen rätselhaften Gehirnschlag, der so viele Bergleute im Trinidad-Flöz heimgesucht hatte.
Li döste grübelnd ein, dachte aber noch daran, die Zigarette auszudrücken, bevor sie ihr aus der Hand fiel.
Die Idee kam ihr am frühen Morgen und rauschte durch ihre schläfriges Hirn wie ein losgerissener Kohlekarren durch einen abschüssigen Tunnel.
»Idiot!«, brummte sie, setzte sich auf, schaltete das Licht ein und rief noch einmal Sharifis Autopsiebericht ab.
Wie hatte sie das nur übersehen können? Sharpe war es jedenfalls aufgefallen. Noch deutlicher hätte er nur sein können, wenn er es für sie an die Wand geschrieben hätte. Sie öffnete die Dienstprotokolle der Rettungsmannschaft und glich sie mit der Schichteinteilung am Tag des Feuers ab. Im Trinidad-Stollen hatten sich zwölf Menschen aufgehalten. Die meisten von ihnen gehörten zur Arbeitsmannschaft aus Technikern und Elektrikern, die Kabel zur Schnittkante tief im südlichen Bereich der neu geöffneten Ader verlegten. Die Arbeitsmannschaft hatte sich am anderen Ende des südlichen Hauptgangs befunden – fast zweihundert Meter weiter von der Treppe entfernt
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