Lichtspur
Tisch und ihm in den Schoß gefallen. Bevor Kintz begriff, was passierte, war Li auf den Beinen und trat um den Tisch.
»Meine Güte!«, sagte sie und tupfte seine Hose mit einer Serviette ab. »Sie haben sich bekleckert. Ich hoffe, der Kaffee war nicht zu heiß.«
Kintz stand auf und wich ein paar Schritte zurück, aber Li wischte ihn weiter mit der Serviette ab. Er stand jetzt mit dem Rücken zur Wand, und Lis Körper schob sich zwischen ihn und die übrigen Tische. Li lächelte, packte ihn an einer Stelle, wo es wirklich wehtat, und hob ihn hoch.
»Habe ich schon erwähnt, dass Sie mir richtig auf die Nerven gehen?«, fragte sie.
Kintz verzog das Gesicht, ließ den Blick aber nicht von ihr. Noch schlimmer war, dass Li, als der Schmerz ihm das Blut aus dem Gesicht trieb, am Hals das dichte Netz von Keramstahlfäden erkennen konnte, das ihm durch Haut und Muskeln gewoben war.
Sie ließ ihn um ein Haar vor Überraschung fallen.
Nun, das erklärte wohl, wo er Sharifis Unterricht genossen hatte. Es war ihr allerdings ein Rätsel, warum die Friedenstruppen dieses Stück Dreck nach Alba geschickt hatten. Oder wie ein ehemaliger Friedenssoldat als Haas’ Laufbursche enden konnte. Entweder arbeitete Kintz für die innere Abteilung – was unmöglich war –, oder er hatte derartigen Mist gebaut, dass die Friedenstruppen das Aufsehen einer unehrenhaften Entlassung nicht riskieren konnten.
Noch ein Grund, ihn genau im Auge zu behalten. Nicht dass sie einen brauchte.
»Sie sind nicht besser als ich«, sagte Kintz, und in seiner Stimme rangen Schmerz und Hass miteinander. »Ich war auf Gilead. Ich weiß, was für eine Scheiß-Heldin Sie sind. Ich kenne Sie.«
Li ließ ihn los und wich zurück, als habe er sie gestochen.
»Ja«, sagte Kintz. »Ich war dort. Und weil die Gedächtniskorrektur nichts brachte, haben sie mich durch den Wolf gedreht. Für das Gleiche wie Sie. Für weniger sogar. Wie finden Sie das, Major? Allerdings waren Sie damals noch nicht Major, stimmt’s? Das war Ihre Belohnung, weil Sie für diese Typen die Drecksarbeit erledigt haben.« Er lachte. »Oder reden Sie nicht gern darüber?«
Li zuckte die Achseln. Sie musste dafür alle Willenskraft aufbieten, aber sie schaffte es.
»Hören Sie mal«, sagte sie. »Es ist mir scheißegal, woran Sie sich zu erinnern glauben oder welche Lügen Sie sich einreden müssen, um über die Runden zu kommen. Wir können entweder hier herumstehen und uns gegenseitig beleidigen, oder Sie sagen mir etwas, das mich zufriedenstellt, und ich ziehe ab. Wofür entscheiden Sie sich, Kintz? Und wo wir schon über Gilead reden: Bevor Sie mich zu Ihrem Feind machen, sollten Sie darüber nachdenken, was mit den Leuten passiert ist, die sich mir in den Weg gestellt haben.«
Kintz starrte sie an. Er zitterte vor Wut, und sie sah die Schweißtropfen auf seiner Oberlippe.
»Reden Sie mit der Hexe«, sagte er schließlich. »Sie war die Einzige, der Sharifi vertraut hat. Weiß der Teufel, vielleicht hat sie Sharifi umgebracht.« Er lachte und versuchte wieder Haltung zu gewinnen. »Man verletzt immer die, die man am meisten liebt, so heißt es doch in diesem Lied, oder?«
»Keine Ahnung«, sagte Li. »Wir sehen uns.«
»Darauf können Sie sich verlassen.«
Li traf die Hexe in Haas’ Büro bei der Arbeit an.
Haas war hinter seinem riesigen Schreibtisch in sich zusammengesackt und starrte in den Stromraum. Er kam gerade lang genug zu sich, um Li zu einem Stuhl zu winken, dann tauchte er wieder ab.
Li setzte sich und beobachtete ihn. Sie bemerkte die Kabel, die den Hautkontakten an Haas’ Schläfen über das trügerisch schlichte Dryware-Gehäuse mit dem Schädelsockel der Hexe verbanden. Die Hexe war seine Schnittstelle, und die improvisierte externe Verkabelung war seine einzige Möglichkeit, auf den Spinstrom zuzugreifen. Der Wandler fing die Ausgangsimpulse des Genkonstrukts ab, konvertierte sie in Haas’ neurale Muster, zerlegte sie in Datenpakete
und übertrug sie. Li dachte an die Overlay-Schleife und schüttelte sich.
»Alles klar«, sagte Haas in die Leere vor seinen Augen hinein.
Die Hexe stand auf, zupfte sich den Stecker aus der Buchse hinter ihrem Ohr und rückte ihre Haare zurecht, um die Buchse zu verstecken.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte Haas Li. »Kaffee? « Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Bier?«
»Kaffee wäre nicht schlecht«, sagte Li.
»Zweimal Kaffee«, sagte Haas.
Die Hexe nickte und ging zur Tür.
Li räusperte sich.
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