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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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»Besser dreimal. Ich muss mit Bella sprechen.«
    Haas sah Li scharf an, sagte aber nichts. Bella ging hinaus und kam mit einem beladenen Tablett zurück, von dem sie drei Tassen aus Knochenporzellan, Sahne, Zucker und einen Topf mit Kaffeeersatz herunternahm. Sie beugte sich über den Tisch, goss Li eine Tasse ein, bot Sahne und Zucker an, dann goss sie Haas’ Tasse ein, gab Sahne und Zucker dazu.
    Als Li ihre Tasse in die Hand nahm, bemerkte sie unter dem linken Ohr der Hexe den aufgekratzten roten Ausschlag einer Staphylokokken-Infektion um den Rand des Input/Output-Sockels. Etwas an diesem Anblick – der rote Ausschlag auf der seidig blassen Haut – brachte Li unversehens zu Bewusstsein, dass sich unter der lockeren Kleidung eine Frau, ein warmes und lebendiges Wesen verbarg. Sie räusperte sich und schaute weg – aber erst, nachdem ein flüchtiges, spöttisches Lächeln über das Gesicht der anderen Frau gehuscht war.
    »Also, Major«, sagte Haas, »was wollen Sie wissen?«
    Li holte ihre Zigaretten hervor und hob in Richtung Haas die Augenbrauen. »Was dagegen?«

    »Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
    »Auch eine?«
    »Ich rühre so was nicht an.«
    »Gut für Sie.« Sie zündete ihre Zigarette an. Nach einem Kaffee ist der erste Lungenzug immer ein besonderer Genuss. »Dann leben Sie länger. Ich muss Bella nur über das Feuer befragen. Reine Routine. Ich spreche mit jedem, der unten gewesen ist, als das Feuer ausbrach.«
    »Ich verstehe.«
    »Es dauert nicht lang.« Li wartete und hoffte, dass Haas sie nicht zwingen würde, ihn nach draußen zu bitten.
    »Kein Problem«, sagte er nach einer sehr kurzen Pause. »Ich bin in zwanzig Minuten wieder da.« Li hatte den Eindruck, dass er der Hexe einen warnenden Blick zuwarf, bevor er hinausging – oder war sie nur paranoid?
    Die Tür glitt nahezu geräuschlos hinter ihm zu, und Li und Bella sahen sich schweigend an. Li hatte das seltsame Gefühl, dass Bella eine Last von den Schultern genommen wurde. Als ob sie in Haas’ Beisein verstummte. Sie dachte an die beunruhigende kleine Szene, die sie am ersten Abend mit ihren aktiven Pigmenten eingefangen hatte, und sie fragte sich, was Haas gegen Bella in der Hand hatte.
    Bella holte Luft. »Ich bin nicht … Sie sollten wissen, dass …«, sagte sie und brach ab, als sei sie gegen eine Wand gelaufen.
    »Sie sind was nicht?«, fragte Li.
    Aber Bella schüttelte nur den Kopf.
    Li lehnte sich zurück und rauchte schweigend ihre Zigarette zu Ende. Sie fischte in trüben Gewässern; Bella konnte ruhig den ersten Schritt tun. Sie wusste einen ganzen Batzen mehr über die Ereignisse in der Grube an jenem Tag als Li. Allmählich hatte Li das Gefühl, dass an Bord der Station jeder Mann, jede Frau und jedes Kind mehr wusste als sie.

    »Keine Bürgerin …«, sagte Bella.
    »Das ist hier kein Titel«, sagte Li. »Die Menschen hier sind von Geburt an Bürger.«
    »Konstrukte nicht.«
    »Konstrukte nicht«, musste Li zugeben.
    »Und Sharifi auch nicht.«
    »Nein«, sagte Li. »Sharifi auch nicht.« Cohen hatte wie üblich recht: manche Schweine waren gleicher als andere.
    Sie betrachtete Bellas Gesicht, das halb im Schatten lag, und suchte unwillkürlich nach Merkmalen des XenoGen-Gensets. War diese glatte Wölbung der Stirn nicht zu glatt, zu rund für eine Weiße? War diese aparte Kombination von blasse Haut und Gesichtszügen, die vage an eine Han-Chinesin erinnerten, ein reiner Zufall oder eine bewusste Anspielung auf eine nicht so ferne Geschichte? Sie fragte sich, wie Sharifi auf Bella gewirkt hatte – und wie sie selbst auf Bella wirkte.
    Makellose Vorderzähne gruben sich in eine makellose Unterlippe. Makellose Hände verschränkten sich zu einer verkrampften Geste hilfloser Zuneigung. »Wer hat sie umgebracht? «, flüsterte Bella.
    »Wer hat Ihnen denn gesagt, dass Sharifi umgebracht wurde?«
    »Ist das wichtig?« Ein Blick aus schönen, unnatürlich violetten Augen bohrte sich in Lis Augen. »Jeder weiß es.«
    »Was weiß noch jeder?«
    »Ich … Ich spreche nicht viel mit anderen Leuten. Außer mit Haas.«
    Bellas Stimme klang überraschend tief, und sie sprach mit einem Akzent, stockte ab und an, um nach dem richtigen Wort zu suchen. Als sie Haas’ Namen nannte, wurde ihre Stimme noch tiefer.
    »Ich weiß nicht, wer sie umgebracht hat«, sagte Li. »Deswegen bin ich hier. Um Antworten zu finden.«

    Bella beugte sich vor, und Li hörte, dass ihr für einen Moment der Atem stockte. »Und wenn Sie die Schuldigen

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