Liebe 2.0
zu
kommen…“
„Ha, ha“, sage
jetzt ich. Aber auch darüber geht Papa geflissentlich hinweg.
„Dann wird
gegessen. Dann…“
„Und wann kriege
ich meine Geschenke?!“, platzt es da aus Clara heraus. Als Nesthäkchen der
Familie ist sie von unserer „keine Geschenke“-Klausel ausgenommen und genießt
die volle Konsumaufmerksamkeit. Folglich setzt sie etwas andere Prioritäten als
mein auf Tradition bedachter Vater, dessen To-do-Liste für Claras Geschmack
schon jetzt eindeutig zu lang ist.
„Ja, genau, wann
ist die Bescherung?“, fallen Tristan und ich in quengelnder Manier ein. Claras
Ungeduld ist ungeheuer ansteckend, und auch wenn auf uns Erwachsene keine
Überraschung mehr wartet, so macht es doch ungeheuren Spaß, meinen Vater aus
dem Konzept zu bringen.
In der Tat
schüttelt Papa irritiert den Kopf und fährt dann, als würde er an unserem
Verstand zweifeln, betont langsam fort: „Dann gibt es die heute -Nachrichten…“
„Hach! Wie
seinerzeit in Bethlehem“, ruft Tristan verzückt aus, und ich muss mit Mühe ein
Kichern unterdrücken. Verlegen boxe ich meinen Bruder in die Seite. Er sollte
es nicht übertreiben, denn in manchen Dingen versteht Papa keinen Spaß. Dazu
gehören passives Abseits, seine Bonsai-Sammlung – und Matthias Fornoff.
„… und danach
lesen wir natürlich auch brav das Weihnachtsevangelium“, nickt Papa milde in
unsere Richtung. „Es ist ja nicht so, dass wir euch ohne jede abendländische
Kultur aufwachsen lassen.“ Er zwinkert Tristan verschwörerisch zu und wendet
sich danach an mich. „Das kannst du ja vielleicht machen.“ Mein Vater ist ein
großer Fan meiner Stimme und hört sich, wenn es geht, jeden noch so nichtigen
Beitrag von mir im Radio an. (Ha! Als ob ich jemals etwas Bedeutendes zu sagen
hätte… nun, egal!)
„Aber diesmal
bitte nicht wieder auf Finnisch, ja?“, wirft meine Mutter da ein. „Um das zu
ertragen, braucht man ja ein Jodeldiplom“.
Ich seufze
demonstrativ. „Also hört mal! Ich dachte, ich bereichere unseren
Weihnachtsabend mal um eine neue kulturelle Ebene“, verteidige ich meine
Ansprache vom Vorjahr. „Selbst die Sendung mit der Maus hat einen
zweisprachigen Vorspann. Aber ihr seid ja allesamt Banausen!“ Beleidigt greife
ich nach meiner Kaffeetasse.
„Hast du
eigentlich selber irgendein Wort von dem verstanden, was du da gebrabbelt
hast?“, fragt Tristan lauernd.
Ich winde mich
kurz, ehe ich antworte. „Äh… nein. Aber als gute Christin weiß ich ja auch so,
worum es in der Geschichte geht!“ Und damit ist die Sache für mich erledigt. Tristans
Einwand, dass ich damals vielleicht gar nicht die Weihnachtsgeschichte, sondern
eine Gebrauchsanweisung für eine Waschmaschine aus dem Internet gezogen und
vorgelesen habe, überhöre ich. Und auch Clara hat andere Sorgen.
„Aber danach
gibt es die Geschenke?“, hakt sie nach.
Meine Mutter nickt ergeben.
Bevor wir mit dem gemeinsamen
Tannenbaumschmücken beginnen und damit Frieden und Besinnlichkeit endgültig zum
Teufel jagen, nutze ich die Zeit, um Steffi ein paar Christrosen und Kekse
vorbeizubringen. Dies ist wiederum mein ganz persönliches Ritual, abseits von
Endlos-Diskussionen darüber, ob die rote Kugel nun einen Zentimeter mehr nach
oben rechts oder unten Mitte soll. Und ich genieße es. In vollkommener Ruhe
stehe ich am Grab meiner besten Freundin und berichte ihr lautlos die letzten
Neuigkeiten. Dabei versuche ich erst gar nicht, irgendetwas vor ihr zu
verheimlichen, denn ich weiß, dass sie es doch herauskriegt. Es ist nur schade,
dass Steffi mir nicht mehr antworten kann. Dass ich nicht weiß, was sie über
die eine oder andere Sache so denkt, was sie mir raten oder wie sie selber
handeln würde. Aber letztlich sind das alles ja auch meine Probleme und nicht
ihre. Steffi soll sich nicht mehr den Kopf zerbrechen müssen, dort, wo sie
jetzt ist.
Ich blicke zum Himmel, der von einem undurchdringlichen Weiß ist, und
stelle mir vor, wie Steffi hinter diesem Vorhang mit all den anderen Engeln die
letzten Lieder für ihren großen Auftritt am heutigen Weihnachtsabend einübt.
Sicher sind alle schon ganz aufgeregt, wuseln hin und her, suchen ihre Noten
und stimmen ihre Harfen. Ich wüsste zu gerne, welchen Part meine gänzlich
unmusikalische Freundin hierbei einnimmt. Vielleicht schlägt sie wie damals in
der Grundschule die Triangel? Nun, wie dem auch sei. Ich will die Proben nicht
weiter stören, und so verabschiede ich mich für dieses Jahr von Steffi
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