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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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bevor wir an Bord gingen, habe ich noch zwischen die wartenden
Autos gekotzt. Aber was meine Eltern sind, so lassen die sich ihre Pläne nicht
so leicht durcheinander bringen, schließlich war mein Vater vom Fach. Und da er
meinen bummheißen Schädel und mein Gebrabbel von weißen Mäusen halb so wild
fand, packte meine Mutter mich in eine Decke und verfrachtete mich in die
Kabine. – Nie werde ich die zermürbenden Fieberträume vergessen, die mich
während der gesamten Überfahrt gnadenlos zwischen Schlafen und Wachen gefangen
hielten. In meinem Kopf stampfte und hämmerte es ununterbrochen, dazu kam der
Krach aus dem anliegenden Maschinenraum… und dann diese irren Bilder… und die
Schmerzen…
    Und nun, dreiundzwanzig Jahre später, tue ich mir ein solches Delirium
freiwillig an. Oder sagen wir: Ich habe zumindest diesmal keine Vorvorderen,
denen ich die Verantwortung in die Schuhe schieben kann. Mein Elend ist
hausgemacht, genauso wie Thomas’ Punsch. Und während mein Körper verzweifelt
versucht, diesen langsam aber sicher abzubauen, lenkt sich mein Geist mit den
skurrilsten Träumen ab, aus denen es kein Entrinnen gibt. Kaum bin ich aus dem
einem hoch geschreckt, falle ich auch schon in den nächsten zurück – und komme
doch keinen Schritt vorwärts. Wie so häufig in alkoholschwangeren Träumen,
drehe ich mich im Kreis, erlebe die gleiche Szene wieder und wieder: A Nightmare
on ElmStreet reloaded. Und all das nur, weil mein erschöpfter Körper der
Meinung ist, dass jede noch so quälende Phantasie der drehschwindeligen
Realität vorzuziehen sei.
    Ich laufe eine Straße entlang, die
mir irgendwie bekannt vorkommt, obwohl ich mit Sicherheit noch nie zuvor dort
war. Ich suche jemanden und weiß, dass ich spät dran bin. Was ich wiederum
nicht weiß, ist, wen ich überhaupt suche, geschweige denn, wo derjenige wohnt.
    Plötzlich komme
ich an einem großen Haus an und denke mir: Das muss es sein! Ist nur so ein
Gefühl… Ich laufe die Stufen hoch, wobei jeder meiner Schritte in meinem Kopf
widerhallt und sich mein Pochen an der Tür direkt auf meine Schädeldecke
überträgt.
    Als sich die
Haustür zum ersten Mal öffnet, steht Steffi im Türrahmen und guckt mich
fröhlich an. „Hallo Julia, wie schön, dass du da bist!!!“, ruft sie.
    Ich folge ihr in
das Haus, das mit einem Mal so aussieht wie das Haus ihrer Eltern. Na ja, zumindest fast . Denn der Haselnussbaum – unser Haselnussbaum – hat definitiv
nicht mitten in der Küche gestanden. Aber auf solche Kleinigkeiten legt mein
schwerer Kopf keinen Wert. Ihn beschäftigt viel mehr etwas ganz anderes. Denn
obwohl ich mich unsäglich freue, Steffi wieder zu sehen, weiß ich doch, dass
hier irgendwas nicht stimmen kann. Steffi steht immer noch als Neunjährige vor
mir, während ich mittlerweile dreimal so alt bin, und dieses Ungleichgewicht
verwirrt mich, ja, es macht mich fertig. Ich gehöre einfach nicht hierher. Aber
ich habe auch keinen Schimmer, wie ich in meine eigene Zeit zurückkehren kann.
Kein schönes Gefühl. Und so bin ich dankbar, als ich langsam aber sicher dem
Traum entgleite - - -
    Keine zehn
Minuten später gehe ich erneut die Straße entlang. Wieder weiß ich nicht, wo
(und wann) ich bin – beziehungsweise wen ich suche. Aber dann sehe ich es
wieder vor mir, dieses vermeintlich vertraute Haus, gehe die Stufen hoch und
klopfe.
    Die Tür geht
auf, und vor mir steht ein junger Mann, etwa mein Alter, den ich noch nie zuvor
gesehen habe – und der mir doch seltsam bekannt vorkommt. Diese grauen Augen.
Der schmale Mund. Plötzlich dämmert es mir, dass es sich um Martin handelt –
eine frühere Version von ihm, quasi Martin in jung. Ein Mann, der an seiner
Doktorarbeit schreibt, während ich mit Steffi auf Bäume klettere…
    Verdattert
starre ich Martin an, der fragend eine Augenbraue hebt und schon in dieser
kleinen Geste eine Spur dessen erahnen lässt, was über die kommenden Jahre
hinweg an Sexappeal in ihm heranreifen wird. Ich will etwas sagen, bekomme
jedoch keinen Ton heraus. Und auch Martin blickt mich schweigend an,
unergründlich, als warte er auf etwas. – Logisch, schließlich habe ich ja bei ihm angeklopft. Doch statt mich zu freuen, den jungen Martin
endlich kennen zu lernen und so in meiner Phantasie etwas nachzuholen, das mir
die Realität niemals wird bieten können, überkommt mich auch hier dieses Gefühl
von der falschen Zeit am falschen Ort. Auch diese Tür scheint nicht für mich
bestimmt zu sein. Ich muss

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