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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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können?
    Verlegen stehen
wir uns gegenüber, und es ist klar, dass in den nächsten fünf Sekunden etwas
geschehen muss. Sonst geht der Augenblick ungenutzt vorüber. Und auch, wenn ich
keinen Schimmer habe, welche Chance sich mir hier und heute überhaupt eröffnen
soll, so bin ich doch gewillt, sie zu ergreifen. Unbedingt. 
    Ich merke, wie
sich mein Körper langsam beruhigt. Es war wohl nur der erste Schreck,
vergleichbar mit dem Gefühl, das man bekommt, wenn einem siedendheiß einfällt,
dass man irgendwas vergessen hat. Die Kaffeemaschine auszustellen,
beispielsweise. Oder einen Zahnarzttermin. Oder halt die Tatsache, dass der Ex
schon seit dreißig Jahren im gleichen Dorf wohnt und die Wahrscheinlichkeit,
dass er zu Weihnachten ebenfalls seine Eltern besucht, nicht gerade gering ist.
    Ermutigt, weil
mich unsere zufällige Begegnung anscheinend nicht halb so sehr stresst wie gedacht,
versuche ich einen unverfänglichen Gesprächsanfang. „Na, auch für Weihnachten
zurückgekehrt?“
    Es fühlt sich
komisch an, dieser Small Talk. So falsch. So fadenscheinig. Aber was habe ich
denn für Alternativen? Hey, lustige Sache das mit der geplatzten Hochzeit,
was? Und, ist dein Liebesleben seitdem auch im Arsch?
    Jonas’ Blinzeln
verrät mir, dass er ähnlich denkt, und noch bevor er antwortet, scheinen wir
uns bereits ein ganzes Stück näher gekommen. „Na klar, du weißt doch, wie das
bei uns zu Hause ist. Ich könnte fünf Kinder und zehn Enkel haben und müsste
dennoch pünktlich an Heiligabend auf der Matte stehen.“
    Und schon
erreicht unser Geplänkel die nächste Stufe. Das habe ich immer an Jonas
bewundert: Dieses diplomatische Geschick, mit dem er sein Gegenüber abtastet,
um einzuschätzen, welche Möglichkeiten ein Gespräch bietet. Die Anspielung auf
eine eigene Familie ist ein Test. Ein Angebot an mich, über unser neues Leben
ohne einander zu reden. Wenn ich will, kann ich seine Bemerkung einfach
ignorieren und stattdessen ein bisschen über das Wetter plaudern. Oder aber ich
nutze die Gelegenheit, und wir sprechen nach einer Ewigkeit endlich wieder
wirklich miteinander. Ich entscheide mich für Letzteres.
     „Auf die Idee
könnte meine Mutter auch kommen“, nicke ich. „Am besten, wir mieten dann alle
gemeinsam einen Bus. Dann könnt ihr Männer euch beim Fahren abwechseln, und wir
Frauen verteilen selbst gemachten Kartoffelsalat und Frikadellen.“
    So merkwürdig es
klingt, aus heiterem Himmel über zwei getrennte Familien zu phantasieren, die
doch eigentlich mal eine gemeinsame sein sollten – Jonas, ich, unsere Zwillinge
und vielleicht noch ein süßer Hundewelpe –, so erschreckend normal fühlt es
sich auf einmal an. Und zum ersten Mal seit einem Dreiviertel Jahr bekomme ich
eine vage Ahnung davon, wie es ist, sich mit seinem Schicksal auszusöhnen. Ein
gutes Gefühl. Ich könnte mich glatt daran gewöhnen.
    Jonas muss
grinsen. „Schöne Aussichten, in der Tat!“ Dann aber wird er wieder ernst. „Und,
schon einen Kandidaten für den Beifahrersitz in Aussicht?“
    Auch ich werde
still und überlege, was ich darauf sagen soll. Ich kann mir die Frage ja kaum
selbst beantworten. Wie soll ich es dann meinem Ex erklären?
    „Weißt du“, sage
ich schließlich, „das ist nicht so einfach.“
    Dann verstumme
ich wieder.
    Jonas nickt.
„Ich weiß, was du meinst“, sagt er. Dabei bewirkt allein der Klang seiner
Stimme, dass wir uns noch einen Schritt näher kommen. Trotz der unverminderten
körperlichen Distanz baut es sich langsam aber sicher wieder auf, dieses Gefühl
einer Verbundenheit, der schon wenige Worte genügen, um sie zu festigen. Und
dann fällt er plötzlich. Ein Satz. Der Satz. Ein paar Buchstaben, die
für den Rest der Menschheit bedeutungslos sein mögen, für uns aber in diesem
Moment unschätzbar wertvoll sind: „ Das ist doch alles balla balla! “
    Wir gucken uns
an. Überrascht. Verwirrt. Und dann müssen wir lachen. Ein lautes Lachen, das
quer über den Marktplatz schallt und die vereisten Zweige der Bäume zum Klirren
bringt. Wir lachen, als gäbe es kein Morgen mehr. – Wie gut, dass uns keiner
sieht… Aber es ist auch einfach zu großartig! Unsere Sprache, von der wir
dachten, sie sei ebenso verschollen wie unsere Liebe - - - sie lebt! Zwar ist
sie nicht mehr dort, wo wir sie zurückgelassen haben. Aber sie lebt! Und sie
eröffnet uns hier und jetzt die Möglichkeit, endlich aufzuarbeiten, was uns
beide die letzten Monate zerfressen hat. Denn eines ist klar:

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